Laubach Blog in Folgen
zur Ausstellung
„Kunst zwischen Kuhmist und Milchstrasse“
Die Laubacher Phase
1971-1976
Vom 9.9. bis 23. 9. 2012
Fünfter Teil
26 Jahre war ich nicht mehr in den Räumen meines ehemaligen Ateliers. Sie schlummerten und staubten vor sich hin.
Die Spinnen woben ungestört ihre kunstvollen Netze. Meterlang.
Ist die Zeit darin stehengeblieben.
Kann die Zeit stehenbleiben?
Ich öffne die großen Fenster und die Sonne schreibt ihr Licht auf den Holzboden, der seinen warmen Grundton in den Raum abstrahlt. Es duftet nach erfrischtem Alter.
Foto: A.B. "Im Löwen" Laubach 25.8.12 |
Raum und Zeit sind fühlbar präsent, nicht vergangen.
Das Vergangene kommt frisch geputzt und jung als Zukunft wieder auf dich zu und tanzt in der Gegenwart den Reigen von Kommen und Gehen im immer währenden Sein.
Konkret wird hier an der Zukunft der „Laubacher Phase von 1971-86“ gebaut.
Es wird aufgebaut im Abbruchhaus. Nächstes Jahr wird es abgerissen.
„Aufbau im Abbruchhaus“. Wer denkt das schon an den Euro und an Europa?
Ist das nicht eine der spezifischen Kräfte und Fähigkeiten des Menschen, speziell der Kunst, aufzubauen und Gestalt zu schaffen wo sich Entropie und Auflösung ereignen. Das ist zugleich natürlich, denn jeder Apfel trägt, wenn er fällt, die Gewissheit seiner Zukunft in den Kernen mit hinab.
In diesen leeren Räumen suche, erwarte, nein! erahne ich eine neue Figur, die sich aus den gegenwärtig anwesenden Arbeiten, Räumen, Gedanken, Ideen und Sichtweisen ergibt. Mal sehn.
Foto: A.B. 11.7.12 Laubach, Atelier "Im Löwen" |
Nachdem wir, Bernhard und ich, sorgfältig gekehrt und die Wände und Decken vom Spinnenwerk entwoben haben blieben die Flecken an den Wänden und die Risse. Einen Raum wischte ich nass und bohnerte den Boden mit Wachs, wie ich das in den Jahren meines Wirkens hier immer tat, denn der Grund, die Grundierung war wichtig.
In diesem Raum putzten wir auch die Scheiben, im andern Raum ließ ich den Staub von 26 Jahren an den Fenstern.
Schritt für Schritt machte ich mich mit der Situation vertraut. Schon der leergeräumte Saal hatte eine Kraft und seltene Stimmung.
All das was ein heutiges Haus ausmacht ist hier nicht mehr vorhanden, außer der bloße Raum, die Luft darin und das Licht das sich durch die großen Scheiben einspeiste.
Alles ist ausgezogen. Meine Kunst zieht ein. Ich hänge sie nicht an leere Wände, sondern an die Wände der Leere.
Alles ist ausgezogen. Meine Kunst zieht ein. Ich hänge sie nicht an leere Wände, sondern an die Wände der Leere.
RaumZeit.
Wände, Böden und Decken erzeugen zusammen eine durchsichtige Raumskulptur.
Einen Luftkörper dünner ist als der Stoffkörper. So dünn, dass er das Licht durchlässt das auf die dichteren Körper trifft und sie als getrennte Objekte zur Sichtbarkeit bringt.
Einen Luftkörper dünner ist als der Stoffkörper. So dünn, dass er das Licht durchlässt das auf die dichteren Körper trifft und sie als getrennte Objekte zur Sichtbarkeit bringt.
Ein Raumkörper ergibt sich, sinnlich erfahrbar, durch die Umgrenzungen.
Mein KörperSein ist Teil davon, nimmt daran teil, bewegt sich darin. Geschichtlich und unmittelbar.
Der Luft-Raum ist ein feinerer Körper in dem die dichteren Körper sich bewegen wie Fische im Wasser, und stehen können, gehalten von dem Sog der Schwerkraft aus dem Erdkern.
Der Raum nimmt auf und gibt frei. Du kannst kommen und gehen, er bleibt mit sich identisch.
Doch Raum ist nicht nur das was die Mauern umgrenzen, er ist auch Erinnerungsraum.
Nächstes Jahr ist er nur noch Erinnerungsraum.
Was wird frei wenn sich dieser Raum im Unbegrenzten auflöst?
Doch jetzt erleben diese alten Mauern noch einmal einen entstehenden Erwartungsraum.
Doch Raum ist nicht nur das was die Mauern umgrenzen, er ist auch Erinnerungsraum.
Nächstes Jahr ist er nur noch Erinnerungsraum.
Was wird frei wenn sich dieser Raum im Unbegrenzten auflöst?
Doch jetzt erleben diese alten Mauern noch einmal einen entstehenden Erwartungsraum.
Sie freuen sich rissig.
Das Licht wirkt, wie immer: frisch. Wir wissen ja: im Licht gibt es nichts Vergangenes, nichts Zukünftiges. Licht ist die pure Gegenwart.
Licht ist die Grenze der Zeit. Und hinter der Grenze tanzt das große pulsierende Nichts im Festsaal des Löwen all die Tänze weiter die hier erträumt wurden.
Licht ist die Grenze der Zeit. Und hinter der Grenze tanzt das große pulsierende Nichts im Festsaal des Löwen all die Tänze weiter die hier erträumt wurden.
Nein die Zeit ist nicht stehengeblieben, das ist so eine Redensart. Oder doch?
Vielleicht ist sie doch stehengeblieben.
Steht still und schaut sich aufmerksam um.
Betrachtet alles genau, den Reigen der Dinge, die Äpfel und die Knospen, die Nacht und den Wind, die Kinder und die Alten. Das Glatte und das Gefurchte.
Steht still und schaut sich aufmerksam um.
Betrachtet alles genau, den Reigen der Dinge, die Äpfel und die Knospen, die Nacht und den Wind, die Kinder und die Alten. Das Glatte und das Gefurchte.
Es würde mich nicht wundern, wenn die Zeit dann zu zeichnen anfinge, denn um zu zeichnen musst du stehen bleiben, ruhig sein, bevor sich die Bewegung durch dir ereignet.
Foto: A.B. "Novalis-Buch" 1973, Laubach |
Merkwürdig, dass dieses „Stehen-bleiben“ so einen schlechten Ruf hat, „Stand-Punkt“ aber wieder einen guten.
Ich frage dich: wie soll ich mir einen „fortschrittlichen Standpunkt“ denken?
Ich frage dich: wie soll ich mir einen „fortschrittlichen Standpunkt“ denken?
Abbruchhaus Museum
Ich stelle mir vor diese Ausstellung fände in einem jener großartigen Museen statt in der alles was dort drin ist unmittelbar zu Kunst mutiert, allein schon durch die Magie des Ortes.
Was wäre anders: Völlig klar, das ginge gar nicht. Es sei denn man könnte das ganze Haus so wie es ist, mit der Installation im Festsaal dort aufbauen. Und das braucht es nicht, denn es findet ja schon hier statt, im temporären Museum Laubach.
Foto: A.B. Atelier "Im Löwen", Laubach 1983 |
Hier findet eine Umkehrung statt. Das wurde mir nach und nach klar. Denn ich bin es ja auch gewohnt und hab es gern, wenn die Bilder auf perfekte Wände kommen in einer gepflegten und repräsentativen Umgebung.
Hier ist etwas anderes wirksam, eine seltene Möglichkeit zu begreifen und zu ergreifen. Es hat gedauert bis ich es erkannt und verstanden habe.
Die Kunst tritt hier, in diesem Umfeld, das mit allen Rissen signalisiert dass es nicht weitergeht, in einen seltsamen Kotrast.
Üblich ist es dass die Kunst von der Umgebung geschützt wird, dass diese ihr Sicherheit gibt und ihr bestmögliche Entfaltung anstrebt. Hier ist es anders. Hier spricht die Kunst in leiser Präsenz, unaufdringlich von der Kraft ihrer Dauer.
Ich habe den Eindruck, und das gibt mir die Kraft und Lust zu all dem Aufwand, dass sich die Kunst hier völlig frei entfaltet, in aller Sensibilität, Zartheit und Zerstörbarkeit.
Dass sie sich als stabile sichere Kraft spüren lässt, so machtvoll, zuverlässig, gefährdet und zu zart, wie ein Löwenzahn auf dem Mittelstreifen der Autobahn.
Foto: A.B. Ausstellungsraum "Im Löwen", Laubach, 24.8.12 |
Die Kunst ist hier kein zu schützendes Biotop, sie ist der Ausdruck einer universellen schöpferischen Kraft durch den Menschen, die ihn zum Menschen macht.
Die Kunst ist ein machtvolles Inneres, dessen Schale aufzubrechen beginnt, wie beim einem Ei.
Foto: A.B. Ausstellungsraum "Im Löwen" 25.8.12 Laubach |
Foto: A.B. Ausstellungsraum "Im Löwen" 25.8.12 Laubach |
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