Dienstag, 22. Dezember 2009

wahr nehmen


In der Wirrnis zeigt sich Ordnung, wenn ein achtsamer Blick darauf ruht.

Zuerst wird das rasche Auge dieses Bild identifizieren.
Es sieht verschneite Äste eines Busches und wird vielleicht eine gewissen Ästhetik darin erkennen, den Zauber eines Momentes, in dem leichter Schnee auf den dünnen Ästen für eine Weile Wohnung nimmt, bis der Wind und die Wärme ihn abschütteln.

Doch wie alle Bilder spiegelt auch diese Fotografie die Kraft der Betrachtung selber wider. Wenn der Blick rasch weiter eilt, was besonders in diesem Medium hier fast zwingend ist, wird er sich nicht vertiefen wollen oder können. Er wird nicht weiter eintauchen in das was noch zu sehen ist. Was mich zu diesem Foto veranlasst hat, und das ich nun, auf dem indirekten Wege der Beschreibung, ins Blickfeld rücke.
Es war die "realistisch-abstrakte" Malerei, die "Kunst" darin die mich faszinierte.
Zum Beispiel die Bezugslinien, die aus einzelnen Linien Figuren ergeben, dann der Kontrast von Braun, Blau und Weiß, und die zufällige und doch nicht beliebig wirkende Komposition. Dabei suchte ich nicht lange diesen bestimmten Ausschnitt.

Es ist eine Ordnung die sich in der Wirrnis ahnen lässt, etwas, das der betrachtende Blick selber ergänzen und schaffen muss, und was Geist und Sinne fordert und anregt.
Es bleibt dabei dennoch immer auch der Schnee auf Ästen an einem lichten Tag und ist doch zugleich Rhythmus und Architektur, Zeichnung und Überschneidung, Form und Kontrast.

Die Rezeptoren, Synapsen, Nervenbahnen, also der hochkomplexe Vorgang, der bei einer einfach scheinenden Wahrnehmung "in Betrieb" ist, wird, durch das Verweilen auf einem Bild, dieses als mehrschichtig entschlüsseln (wie alle Wirklichkeit auf der der Blick "ruht") und zu einem bewussten intensiven Erleben verdichten.
Eine Schichtung, die zu einer Geschichte wird und vom komplexen und differenzierten Ganzen berichtet. Also von der äußersten leicht identifizierbaren Oberfläche, bis zum kosmischen Rätsel von Bewegung und Gestalt.
Dieses Betrachtens wird den Betrachter selbst "aufräumen-ordnen-klären".
Vielleicht weil Ordnung und Gestalt im Sehen selber liegen.
Zunächst könnte man denken, dass das Bewusstsein Chaos und Unübersichtlichkeit nicht erträgt, weil die Sinne, in sich selber klar sind - wie geputzte Brillen -und deshalb Ordnung und Gestalt erkennen und erzeugen "müssen". Vielleicht ist es deshalb Sinn-voll aufzuräumen, zu ordnen und zu klären, weil die Sinne selber geordnete, aufgeräumte und geklärte Organe sind, voraussgesetzt sie sind gesund? Doch geht das Wahrnehmen darüber hinaus.
Das Wahrnehmen selbst ist ein schöpferischer Akt.
Durch Entdeckerlust und Spielfreude werden lebendige Kräfte organisiert.
Muster, Figur, Gestalt und Sprache entstehen. Das Subjektive wird transparent bis zum kollektiven Grund, es wird mitteilbar, rezipierbar und damit aktiv gestaltender Bestandteil der Gesellschaft.



zurück zum Bild:
Das Auge wird nur einen Augen-Blick auf dem Bild mit den Zweigen ruhen, es identifizieren und wäre rasch damit fertig, würde es durch diesen Text nicht rückkoppelend beeinflusst (sofern sich jemand die Zeit gibt ihn zu lesen).

Erst wenn der Blick ruht, öffnet sich das Bild. Davor dient das Auge als Scanner, der Interessantes, Bedrohliches, Aufregendes, Anziehendes und Verwertbares abtastet. (Nicht selten von Augenfängern geködert.) Allderdings: es "sieht" dabei nicht, sondern identifiziert bloß. Das ist wichtig. Gewiss.
Doch das schöpferische Sehen, das beginnt wenn der Blick ruht, ist nicht nur wichtig sondern auch eine feine nährende Verbindung zum Glück - im AugenBlick.

Wenn Sie die Zeit haben, wenn Du die Zeit hast, dann lasse Deine Augen auf dem (vergrößerten) Bild mit den Schneezweigen etwa so lange darauf "ruhen" wie es dauert den Text zu lesen. (Nicht unbedingt so lange wie es dauert ihn zu verstehen :-)) und sieh was Du siehst.

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