Sonntag, 12. Januar 2014

Kolam




Kolamzeichnerin

Kolam Punkte und Linien

Kolam


Seit 40 Jahren bestaune ich nun schon die überraschenden Zeichnungen vor Tempeln, Häusern und Hütten, die früh am Morgen auf die mit Wasser und Kuhdung gereinigte Schwelle zum Haus, in Tamil Nadu und Kerela, Südindien, von Frauen gezeichnet werden. 

Es sind uralte rituelle Muster die zugleich spielerisch und mathematisch präzise sind. In regelmäßigen Abständen werden zuerst Punkte gestreut. Gewissermaßen als Orientierungs- und Energiezentren, um die herum sich der bewegte Lebensweg labyrinthisch schlängelt. 
Es sind Schutzzeichnungen, die gute Kräfte einladen über die Schwelle zu kommen und die bösen verwirren und abhalten sollen. Wir kennen das aus Goethes Faust, weil Mephisto durch eine Bodenzeichnung, ein Pentagramm, eingesperrt war und es nicht einfach überschreiten konnte, dann aber doch, weil es nicht ganz präzise gezeichnet war.
In dieser uralten Traditon, die so frisch geblieben ist, zeigen sich die Kräfte der Ordnung und Gestaltung die in der Natur und in allen Kulturen wirken. So gibt es verwandte Muster in der Kymatik, (Hans Jenny und Alexander Lauterwasser) wenn zum Beispiel Wasser durch Klang in Schwingung versetzt wird, und bei Grundrissen von Städten und Tempelanlagen und natürlich bei Blüten.
Die Frauen nahmen für ihre Zeichnungen ursprünglich Reismehl das dann im Laufe des Tages den Tieren als Nahrung diente. 

Kolammalerei
Heute war in Pondicherry ein Kolamfestival mit etwa 250 großformatigen Gemälden und Zeichnungen. Zum Hauptfest in Tamil Nadu: Pongal. Das ist ein Erntedankfest bei dem gekocht wird bis die Töpfe überlaufen. Dieses Überlaufen, dieser Überfluss ist ein gutes Omen für das kommende Jahr.
Bei mir war heute Morgen auch „Pongal“. Mir lief mein Künstlerherz über.

Kolamfestival Pondicherry 12.1.2014
Kolamfestival Pondicherry 12.1.2014

Inzwischen verwenden die Frauen auch Farben und Glimmer. Es gibt keine Berührungsängste mit Neuerungen und Improvisationen. Manche gestalten auch sozial-politische Bilder oder heben das primär geometrische Muster zugunsten eigener freier Findungen auf. 

Kolam freie Gestalung
Ausschnitt
Ausschnitt bei dem der Reis zu sehen ist

Die Bilder sind nun fotografisch fixierbar und das ist gut, doch ansonsten gehören sie gleich dem Wind und der Zeit die es in sich aufnimmt.
Bewahren heißt dann nicht festhalten, sondern erneuern - am andern Tag, im andern Leben. 
Es ist ein anderer Aspekt im Umgang mit Kunst, der in meiner Arbeit auch seinen Niederschlag findet. 
Zum Beispiel in der großformatigen Bodenzeichnung, gestreut mit Marmormehl, in der Johanniskirche in Schwäbisch Gmünd 2008, bei der ich auch die Beziehung zu den Kolams deutlich machte.
Auch in den Bildern mit verschiedenen Beeren, deren Pigmente nicht lichtstabil sind und die sich im Licht verändern ist dieser Aspekt thematisiert. Ebenso in der Wasserperformance, bei der die Malerei durch den Trockenprozess langsam wieder verschwindet. 2009 in Böbingen mit der Musikerin Veronika Gonzales.

Wobei die Erhaltung selbstverständlich ein hoher Wert ist und bleibt. Dennoch gehört auch die Vergänglichkeit, allerdings nicht als Entropie, sondern als rituelles Geschehen das sich immer wieder durch Erneuerung bewahrt, mit in des Repertoire von stabilen Traditionen. Diese Erneuerung ist zugleich die Erhaltung.

2008 Johanniskirche Schwäbisch Gmünd


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