Donnerstag, 29. April 2010

Im Flutlicht ertranken die Engel

Alfred Bast

„Im Flutlicht ertranken die Engel“
2 Tafeln, je 100X150 cm
Asche, Acryl/Öl über Zeitungscollagen die auf eine Leinwand aufgeklebt sind. ´
Mistelzweig und Bergkristallpulver

Kunstraum Hohenstadt 1996



 WERKBRIEF

„Im Flutlicht ertranken die Engel“

(k)eine Gebrauchsanleitung

... Ein Freund fragte, als er das Bild sah, wie es dazu kam. Ich erzählte es ihm. Dann bat er mich es aufzuschreiben. Ich tat es. Gerne auch, denn gedankliches Durchdringen malerischer Erkundungen ist für mich wie eine Reisebeschreibung, die ich, wieder zurückgekehrt, dann zu Hause mache. Ich geht noch einmal durch alles durch und oft vertieft sich das Erlebte. Und um eine Reise geht es in diesem Bild auch.

... Keinesfalls darf die Beschreibung eine Gebrauchsanleitung sein!, denke ich. Und ich bin mir auch des Problems bewusst, dass Verbalisierung von Bildern die Betrachtung lenkt und oft einschränkt. Bin mir bewusst, dass es heute üblich ist als Künstler den Betrachter, als den eigentlichen Creator ohne den das Bild gar nicht existieren würde, zu hofieren und mit einzubeziehen, und ihm die Deutungshoheit zu überlassen.

Doch mit der Deutungsfreiheit sind fast alle, bei dieser Fülle an unzugänglicher aber anspruchsvoller Kunst, überfordert. Die Betrachter haben den Schwarzen Peter und stehen nicht selten peilich hilflos und mit sich ziemlich allein vor den deutungssaugenden Kunst-Vorgaben. Und so greifen sie denn in Museen gerne zu Headphones und buchen Gides, Führungen durch den Interpretationsdschungel, um zu erfahren was sie denn selber in sich entdecken sollen.

Also warum nicht doch eine Gebrauchsanleitung schreiben? Damit das Bild dann vom der Betrachterin und ihrem Mann, dem Betrachter, auch so zusammengebaut werden kann, dass es in ihrem Rezeptionsheim funktioniert. Ich finde darauf haben sie Anspruch.

Vom Künstler selbst darf allerdings eine solche Beschreibung nicht stammen, denn sonst wirkt er kopflastig. Hat er doch aus dem Bauch zu arbeiten und als stummes Urgestein der verlogenen Verbalwelt seine wortlose Wucht vor die Sinne zu werfen. Tja.

Doch mir ist der Kopf nun mal nicht nur lastig, eine Last, sondern auch lustig, eine Lust und  auch eine Öffnung, durch die sich ins Freie steigen lässt. Eine Öffnung,  durch die im besten Falle sogar der Kopf zu einer oberen Lunge wird, mit der Inspirationsluft geatmet werden kann.

Dem Bauch gefällt das auch, der kann sich endlich mal entspannen und ist nicht unermüdlich im Verdaungseinsatz, und damit beschäftigt seine Gärprozesse nach oben schicken zu müssen.

Ohnehin ist es eine Kunst, und ziemlich viel Arbeit, wie das Malen selbst, so zu schreiben, dass die Beschreibung die Sinne und den Sinn öffnet und nicht verstellt.

Wie gut, und ob das gelingt, ob es den Betrachter und die Betrachterin erreicht, das hängt sowohl von meiner Sprachfähigkeit, als auch von deren Interesse ab. Und davon ob eine Wechselwirkung entsteht. Das habe ich tatsächlich nicht in der Hand. 


Die Beschreibung
... Dieses nun gemalte Bild geht zurück auf ein inneres Bild, eine Art Vision, die ich über Jahre mit mir hegte. Das Zentrum bildete darin ein Kind, das die Erde mit sich trug wie einen Ball. Doch nicht wie einen Spielball, sondern eher wie einen zu schützenden Keim.
Ich sah dabei die Erde in kosmischer Dimension als einen Samen, der in die unendliche Weite des Alls gesenkt wurde. Wie in einen empfangsbereiten Uterus, den Schoß der Weltenmutter. Oder vielleicht handelt es sich auch um eine Rückreise zu den Ursprüngen. Eine Reise zu jener Quelle aus der alle Zeit und alles Sein entsprang. Möglicherweise ist beides identisch? Rückreise und neue Empfängnis?

... Die inneren Bilder sind selten. Sie kümmern sich nicht um den Zeitgeist, sondern tauchen als Urbilder, als archetypische Bilder auf. Sie sind heikel und schwierig zu äußern, weil die Urbilder als Menschheitsymbole bedeutungsüberfrachtet sind.

Solche inneren Bilder sind nicht als innere Fotos vorzustellen, sondern eher als Verdichtungen bewegter Felder, die sich zu einem Bild formen, das jedoch erst im und durch den offenen Malprozess seine gültige Gestalt erlangt.

... Ich wählte eine Grundierung, die den Zeitgeist, die aktuelle Interpretation der Zeit repräsentiert, indem ich Zeitschriftenbilder zerriss und als Collage mit Tapetenkleister auf die Leinwand klebte.
Diesen Grund übermalte ich dann mit Asche und schwarzer Acrylfarbe. Ich erzeugte damit einen Flächenraum der den Charakter eine "schwere Stille" hat.
Dabei geht es um die Repräsentanz der dramatischen Widersprüchlichkeit die sich in diesen Printproduktem ausspricht.
Auf der einen Seite wird in hochedlem Design mit intelligenten Methoden und visueller Effizienz der Mensch als Endverbraucher und Konsumenten angezielt, und im Artikel daneben, die Folgen dieses Konsums in kritisch-differenzierter Weise beschrieben, etwa bei Zigaretten und Alkohol.
Wenn in einer anderen Zeit, oder aus großer Distanz diese Zeitprodukte betrachtet werden, dann wir darin eine frappierende Gespaltenheit und Schizophrenie sichtbar.
Eine Wochenzeitschrift erscheint dann als das Symbol einer industriellen Produktion von Widersprüchen und Gespaltenheiten und einer gut organisierten Erzeugung von Desorientierung und Fragmentierung.

... Indem ich die Bilder und Seiten zerriss und sie neu zusammenstellte, wurden die strategisch kalkulierten Querverbindungen zwischen Bildern und Texten aufgehoben und in eine Art informeller Ursuppe zurückverwandelt.

... Der Rand bleibt transparent, lässt die Erinnerung und auch im dem blauen Boot ist eine Stelle ausgespart, die den Grund aufnimmt. Es ist die Stelle der Liebenden, die mit einer mumienartigen Tod-Gestalt verschmolzen sind.

Malen heißt nicht nur neue Bilder schaffen, sondern auch alte umzuwandeln und aufzulösen.

Ausschnitt

Das Blüten-Boot

... Über den mattschwarzen Zeit-Schriften-Grund entstand zunächst, mit Pastellstiften angelegt, ein mandorlaförmiger Körper, ein Art Raum- Zeitschiff, das das Kind mit der Erde trägt.
Vielleicht um den „geistigen Keim Erde“ vor der unersättlichen Gier einer schizophrenen unersättlichen Endverbrauchermaschinerie, die alle Seins-Mysterien durch einen zweckrationalen Filter quetscht, in Sicherheit zu bringen?

Ausschnitt

...Das notwendige Navigationssystem entfaltet sich als Blüte in der Mitte, als Licht und visueller Duft. Eigenschaften des universellen unsichtbaren Helfers, des Engels, der die Fahrt lenkt. Der Engel verschwand, während des Malens wieder, und wurde zur Energie, wurde lichtes Zentrum des Bootes. Er wurde und ist das Lichtauge, das das Unsichtbare sieht und selber nicht gesehen werden kann. Aus dieser Kraft des Engels bildet sich das Boot. Er ist das Boot.


Ausschnitt

... In dem Boot sind das Kind mit der Erde, und das liebende Paar manifestiert. Das Mysterium von Geburt, Liebe und Tod. Der Tod ist das Bett des Liebenden. das die Form einer Mumie hat, durch die der Untergrund, mit den collagierten Zeit-Schriften hindurch scheint. In dem Blüten-Boot, das auch eine Arche sein kann, wird, in Gestalt der Mumie "das Zeitliche gesegnet". Es hat den ihm gebührenden würdigen Raum. Allein der Dominanzanspruch des Zeitlichen über das Ewige ist aufgehoben. Doch ist das ganze Bild als eine Reise, also ein Geschehen in der Zeit. Doch eher wie eine letzte Reise, eine Reise aus der Zeit.


Die einzelnen Aspekte

Der Grund

Ausschnitt

... Der physische Malgrund ist Leinwand, über-klebt mit Zeit-Schrift-Collagen und übermalte mit Asche die in einem transparenten Acryl-schwarz gebunden ist.

... Die Grundstimmung des Bild-Themas bezieht sich auf ein Verständnis des Ewigen in der Zeit.
Das Ewige wird dabei nicht als eine zeitliche Dehnung ins Unendliche, oder eine Erfindung vergangener Epochen verstanden, sondern als ein über-zeitlicher Zustand, der sich nur in der Gegenwart ereignen kann.

... Die Spannung zwischen aktueller Beschleu-nigung in allen technischen Bereichen und der Stagnation, was die soziale, psycho-logische und seelische Entwicklung der Menschen betrifft, spiegelt sich wider in den sich weitgehend verselbständigenden Informationsmedien, die das menschliche Wahrnehmungs- und Aufmerksamkeitsvermögen permanent spalten und über-fordern .

... Der natürliche Gegner der Informationsmaschinerie ist die lebendige Stille. Also jene Eigenschaft, die die Voraussetzung ist für Introspektion, für die schöpferische Innenwahrnehmung und für den Weg zu den eigenen inneren Kraftquellen.

Das Ziel

Ausschnitt

... Ich verwende surrealistische Bildsprachele-mente, die in traditioneller Ölfarbentechnik über den schwarzen Aschegrund gemalt sind.

... Dieser Aschegrund über den collagierten Zeit-Schriften, eröffnet einen Raum, im zweiten Bild, dessen entferntes Zentrum eine Doppelgalaxie zu sein scheint, auf die das Boot zusteuert.

Vielleicht jene Doppelgalaxie in der die beiden Gehirnhälften des Menschen, und die beiden Geschlechter in unvorstellbar friedlich-ekstatischem Tanz und kreativen Orgasmen zusammenwirken?


Die Farbe

Ausschnitt

... Rot-Gelb spannen die beiden Tafeln zusam-men.Diese Farb- und Strukturrhythmen verzahnen sie kompositionell miteinander. Sie fassen die verschiedene Bild- und Bedeu-tungsebenen ein.Oder ist das eine Blutbahn in der die Vision erscheint? Vision und Illusion haben manches gemein-sam.


Illusion
... Das Bewusstsein unterscheidet zwischen der Illusion mit Täuschungsabsicht, jener Verfüh-rung die Wünsche weckt wo keine sind, und der Illusion die notwendigerweise entsteht, wenn Vision im Spiel ist. Denn das was (noch) nicht ist muss dargestellt werden, in Erscheinung treten.
Notwendigerweise ist dies, auch bei wenig strenger Prüfung, ebenso Illusion wie jene mit Täuschungsabsicht. Doch keine die ver-führt, sondern eine die hin-führt.

Das ist eine Illusion, die sich als solche zeigt, wie die Puppe beim Puppenspiel. Eine Illusion die als Metapher auftritt und zur Poesie wird, weil sie weiß, dass sie das wovon sie kündet, nicht ist, sondern spielt, vor-spielt.


Der Bergkristall

Ausschnitt

... Die Mehrdimensionalität der Bildebenen, setzt sich fort in der Mehrdimensionalität der verwendeten Materialien, die da sind: Leinwand, Zeitschriften, Asche, natürlicher Kleister, Kunststoff in Form von Acrylfarben, Ölfarben und Bergkristallpulver, dessen reine Qualität in freien Figuren über die Asche gestreut ist.

Mistel und Profil

Ausschnitt

... Der aufgeklebte Mistelzweig der die Teilung als natürliches Wachstumsprinzip und die Heilungspotenzen gegen die Wucherung des Krebses verkörpert ist der zugleich das Auge eines großen Profils.

Ein Profil, das im rechten Bild, kaum sichtbar, dem kommende Boot entgegeblickt, wie ein Wächter.

Mit diesem Bild bin ich in der Ausstellung in Eggenfelden vertreten.

Mittwoch, 28. April 2010

Ausstellung in Eggenfelden

Bild:  Alfred Bast 1996  "Im Flutlicht ertranken die Engel"  Ausschnitt

Wanderer zwischen den Welten


Phantastische und visionäre Kunst
aus drei Jahrhunderten



Ausstellung
... 1. Mai - 28. August 2010

SchlossÖkonomie Gern // Gotischer Kasten

ausstellende Künstler:

Giovanni Battista Piranesi
Francesco Piranesi
Edgar Ende
Mac Zimmermann
Alfred Bast
Otfried Culmann
Fritz Hörauf
Claudia Knüppel
Wolfgang Maria Ohlhäuser
Tamara Ralis
Ernst Steiner
Cornelia Simon-Bach


Es gibt Künstlergruppen, bei denen ein gemeinsames Konzept, eine Theorie,
die sich auch in Manifesten ausdrücken kann, im Vordergrund steht.
Daneben finden wir Künstlerpersönlichkeiten, die schwerer einzuordnen sind.
Sie stehen im Gegensatz zu den "Ismen" ihrer Zeit, bilden in ihrer
Subjektivität so etwas wie eine Konstante des Visionären und Phantastischen
in der Europäischen Kunstgeschichte. Diese Konstante sichtbar zu machen,
ist Idee der Ausstellung. Es wird ein Raum aufgespannt, der vom 18.
Jahrhundert mit Giovanni und Francesco Piranesi über Edgar Ende bis in die
Gegenwart reicht.
Die Künstler verbinden keine formalen Analogien, vielmehr das Pionierhafte,
die Wanderschaft zwischen den Welten, die es zu entdecken, zu schauen
oder zu erschaffen gilt. 

Öffnungszeiten:
Samstag und Sonntag: 10-18 Uhr
Montag: geschlossen
Dienstag bis Freitag: 10-12 und 15-18 Uhr 

Vernissage:
... Freitag, 30. April 2010 // 19:00 Uhr
SchlossÖkonomie Gern // Gotischer Kasten

Begrüßung
Werner Schießl
1. Bürgermeister Stadt Eggenfelden
Einführende Worte
Roman Hocke
Labyrinthe Gesellschaft für
phantastische und visionäre Künste

Finissage
... Sonntag, 29. August 2010 // 16:00 Uhr
Schloss Ökonomie Gern // Gotischer Kasten
Lesung
Texte von Alfred Bast, Fritz Hörauf,
Tamara Ralis und Ernst Steiner


Stadt Eggenfelden
Rathausplatz 1

84307 Eggenfelden
Info: Tel. 08721 / 708-35

stadtinfo@eggenfelden.de

Mittwoch, 21. April 2010

Das Sichtbare


"Diversity"              NaturIkonen 2009-20010            Öl auf Leinwand, je 30x30 cm              

...Was für ein Glück dass es dieses simple Malen gibt.

Aus dem Haus zu treten und in die Sonnenräder der Löwenzähner zu blicken.

So schaffe ich u.a. weiter an dem völlig unspektakulären Werk der NaturIkonen, die in ihrer Summe, eine starke und doch sehr subtile Wirkung ergeben.

Diversity könnte ich es auch nennen. Verschiedenartigkeit des Gleichen.
Fundsachen, die an die Füße klopfen. Gemalt in hingebender Passivität.

Das sind für mich visuelle Gebete, die ich nicht erfinde, sondern finde und bewundere, weil sie sich so ins Bekannte und damit scheinbar Erkannte zu tarnen wissen.

"wenn man das Unsichtbare begreifen will, muss man so tief wie möglich ins Sichtbare vordringen".

Ein Gedanke aus der Kabbala, den ich täglich als wahr erlebe

     

"Arbeitsplatz"                                                                                 Foto: Vanessa Bengeser

Montag, 19. April 2010

gesammelte Notizen

19.04.2010



gesammelte Notizen

Raimer Jochims
...Am Samstag wurde die Ausstellung von Raimer Jochims in der Gratanius-Stiftung in Reutlingen eröffnet.
Zum 75sten Geburtstag. Die Ausstellung ist auf 5 Jahre konzipiert.
Für mich ein nährender Künstler, der Kunst-Orte schafft, Oasen der Seele und der Sinne.

Eine Kraftquelle. Sehr zu empfehlen!

http://www.gratianusstiftung.de/


Science Fiction
...Gestern hörte ich: Sciene Fiction.
Man befindet sich im Jahre 47998 und reist mit millionenfacher Lichtgeschwindigkeit durch die Galaxien. Doch offenbar ändert sich nur die Kulisse für eine, auch noch in dieser späten Zukunft noch immer ungebildete, gierige und unbeherrschte menschliche Natur. Noch immer gibt es Mord und Schliche, Grausamkeit, Voyeurismus und jenes Prinzip, wonach der Gute am Ende gewinnt, nachdem das Böse für gute Unterhaltung gesorgt hat.


Geplantes "Tier-KZ"
...Der Vertreter eines großen Hühnermastbetriebs, nannte in seiner Präsentation diese Art der Hühnerhaltung „konventionell“, obwohl diese Form der gezielten „Produktion von Frischfleisch“ erst seit den 60er Jahren aus Amerika importiert wurde.
39990 Hähnchen werden etwa in Monatszyklen aufgezogen und geschlachtet, wobei das Ziel - damit es sich wirtschaftlich lohnt – ca. 120000 Tiermorde im 40-Tage-Zyklus vorsieht.
Der Betrieb soll hier bei Hohenstadt installiert werden soll, als Folgeobjekt einer Biogasanlage die diesen Betrieb wegen seines Mistes aus ökonomischen Gründen „braucht“.
Wenn ich nicht schon vegetarisch leben würde, ich hätte mich nach dieser Präsentation, die selbstverständlich die Vorschriften des Tierschutzes einhält, gewiss dazu entschlossen.

Ein Beispiel für weltweiten Missbrauch. Die Natur wird nicht geachtet, sondern verzweckt, zerrr-zweckt. Das Ganze wird partiellen Interessen geopfert. Geopfert? Welchem Gott? Oder besser: welchem Götzen?

Die Geschenke der Schöpfung, ob Wasser, Pflanzen, Tiere, oder Mineralien, sind der Jagd preisgegeben und werden von Interessengruppen erbeutet und erlegt, die ihrerseits unreflektierte Marionetten der Gier sind.

Sie kennen und wollen keine Solidarität mit Natur und Menschheit als Ganzem und haben noch nicht begriffen, dass sie zu einem Körper gehören.
Sie verhalten sich so, als müsse das rechte Auge dem linken Ohr seine Nahrung stehlen, oder als müsse das rechte Bein dem linken die Blutzufuhr unterbinden, um es dann wieder, gegen Zoll- und Lizenzgebühr strömen zu lassen.
Sie meinen aus Individuen Massen machen zu können, um sie als Verbraucher, als Absatzmärkte und allesfressende Endverbraucher zu nutzen.

Ihr höchstes Ziel, Geld zu machen, wirtschaftlich erfolgreich zu sein, wirkt, so mächtig es auch auftritt, doch jämmerlich und schrecklich hilflos zugleich.

der eine Körper Menschheit

Als wüssten wir noch immer nicht, dass die Erde EIN Planet ist und unsere Chance und Aufgabe darin besteht, endlich zu begreifen, dass wir zu einem hoch-komplexen und hoch-differenzierteren, aber eben doch zu EINEM! Körper gehören.

Das wissen zwar viele, sie leben und handeln auch danach, doch ist es schwierig, denn es beschleunigt sich zugleich und aggressiv das Gegenteil.

Konzerne, Staaten, Regionen und Systeme, Clans und Einzelne raffen, was zu raffen ist, vom Ganzen, in ihren partiellen verpanzerten home-Getto-security-Zentralen, in deren inneren Ringen sie künstliche Paradiese simulieren.

Was gibt das dann für einen Körper? Keinen!
Stattdessen: Osiris, der zerstückelte Gott, immer wieder. Immer wieder. Wo ist hier der allzeit beschworene Fortschritt zu verzeichnen? 

Alle diese "Marionetten- winner" gewinnen letztlich ihre Niederlage und besiegen den einzigen lobenswerten Gewinn: den Frieden, die Freude, die Liebe.

Es sind Söldner des Verlustes. Ihr Auftrag lautet: Ver-NICHT-ung. Es sind "Loser" schon von Anfang an, denn sie kappen die Verbindung zur Quelle der Kraft des Ganzen.

Sie müssen sich abbunkern, ein- oder ausschließen. Sie leben in verdrängter Angst und veranstalten, um sich von der Tristesse abzulenken, aufwendige grellbunte und skandalöse Abwechslungswüsten.

Gewinn vedient diesen Namen nur, wenn er förderlich ist,  wenn durch den individuellen Erfolg auch der Andere, und das Ganze genährt wird. Alles andere ist Raub, Beute, das auf einem gut trainierten, und doch evolutionär hoffnungslos veraltetem System basiert.

Wenn es uns als Menschheit nicht gelingt diesen Cod des Überlebenskampfes in unseren Genen umzupolen, zugunsten einer komplexen, differenzierten und farbigen Weltgemeinschaft, zerstören wir gerade mit dem Überlebenstrieb das war dieser erhalten will, uns selbst und die Umwelt.  Eine Umpolung ist nicht nur notwendig, sondern auch möglich  und für den einzelnen höchst beglückend, da es seine höchsten kreativen Potenziale aktiviert. Doch ohne Feindziel.

Die kreativen Potenziale werden heute noch vorwiegend für die Feindbekämpfung oder die Eroberung von Märkten eingesetzt, dieser modernen Art der Missionierung.  Sie dient, partiellen Zielen, nicht dem Ganzen. Nicht dem ganzen Körper, der die Gattung Menschheit nun einmal ist. Doch die Glieder dieses wunderbar vielfarbigen Körpers schlagen in epileptischen Anfällen wild gegen sich selbst, das eine Auge hasst das Andere, die eine Gehirnhälfte ist feind der anderen, der Bauch organisiert Gefühlstruppen gegen die Ratio und die Logik, diese schlagen zurück mit Statistiken und kalten entkörperten Zahlen.

Die Menschheit gleicht einen Kranken, einem Irren, oder hoffnungsvoller: einem Körper im Schlaf, der von Alpträumen geschüttelt wird.


Das Bewusstsein leidet noch immer an diesem ansteckenden Irr-Sinn eines Überlebenskampfes den noch keiner je gewonnen hat oder je gewinnen kann.

Kunst 

Es ist wohl nur durch „Kunst“ möglich innerhalb dieser kollektiven falschen hochdynamischen Lebensweise - die offiziell sanktioniert ist - weder aggressiv noch depressiv zu werden, weder mit dem Strom zu schwimmen, noch gegen ihn, sondern die Kreativität nicht für Zielgruppen oder persönlichen Ruhm, sondern für das Ganze einzubringen.

Eine Selbstverständlichkeit übrigens, und nichts besonderes, denn ein Künstler arbeitet schon immer und notwendigerweise als ein Ganzes. Alle Aspekte seines Wesens, auch die schlimmen, spielen eine Rolle in seinen Dramen, Musiken, Tänzen, Bildern. Lediglich wirtschaftliche Abhängigkeiten und persönlicher Ehr-Geiz zwingen viele Ruhmesaffen und Marktzombies zu werden.


Krebs

Das heutige Wachstumsverständnis ruft in mir unweigerlich das Bild der Krebszellen auf, die wuchernde Metastasen bilden. Deren einziges Ziel - die wissen was sie wollen! - ihre eigene Vervielfältigung ist. Sie bilden keine Orientierung auf ein höheres Ganzes hin aus, sie dienen nicht, sondern sie triumphieren bei jeder Zelle die sie erfolgreich geknackt haben. Sie brauchen sich nicht aufzuhalten mit solch sentimentalen "Schwächen" wie Verständnis oder gar Empathie. Krebszellen sind erfolgreich oder sie sind nicht. Es sind präzise kollektive Phänomene eines vom Sinn, von der Liebe, von der Dankbarkeit abgekoppelten blinden Erfolgs- und Wachstumswahns. (Wobei diese Krankheit in allen Menschen ausbrechen kann, denn wir alle haben eine gewisse Anlage dafür).

Diese räuberischen Zellen  zerrr-zwecken und zerrr-nutzen zerr-brauchen alle Schätze der Erde, des Himmels und der Seele. Sie kennen nur sich selbst und brechen in das Gesunde mit aggressiver Wucht-Wut ein, um mit dessen Lebenskraft das eigene, in sich hohle und sinnlose Parasitendasein, durch Vermehrung zu festigen.
Jeder Erfolg wird gefeiert und generiert die Lust und Kraft zu neuem Angriff auf neue Ressourcen.
Wohlstand wird hier Missstand, und fetter Genuss wird blöd machende Gewalt, letztlich gegen sich selbst. Denn wenn der Wirt stirbt, stirbt auch der Schmarotzer. Nur: der Schmarotzer merkt das nicht im voraus, weil er ja keinerlei Wahrnehmung hat über seine blinde Vermehrungssucht hinaus. Er ist aktiv und feiert Erfolge bis zuletzt. Das macht ihn fast beneidenswert vital.


Ägyptische Legenden
Jahrtausende alt. Auch eine Art Science fiction.
Dasselbe Stück der Zerstückelung des Ganzen in anderer Zeit. Die heute zeitgemäßen Bühnenbilder der Zerstückelung, z.B.: mit Hühnermastbetrieben, legen damit eine Jahrtausende alte, hochaktive Stagnation bloß.
In der ägyptischen Geschichte wird der Gott Osiris, der für die Einheit steht, von seinem Bruder Seth getötet und zerstückelt. Isis seine Göttin-Gemahlin, sammelt seine verstreuten Teile liebevoll ein und vervollständigt ihn wieder zur Ganzheit seines umfassenden Körpers. Mit ihm zeugt sie Horus, der schließlich Seth, den neidischen Zerstückler, besiegt. Ende. Oder schon wieder der Beginn eines neuen Dramas?

So haben auch Urbilder etwas Zukünftiges in sich, da sie noch immer nicht verwirklicht sind, obwohl wir sie seit Jahrtausenden kennen und in alten Hieroglyphen und Sanskrittexten lesen.

Offenbar, ja unübersehbar, gibt es zwei voneinander unabhängige Entwicklungen.
Die des äußeren Lebens und die des inneren. Und offenbar rast die äußere raketenschnell in orientierungslose Zukünfte, während die innere kümmert, verkümmert, und wuchernd stagniert.
Das Innere des Menschen gleicht mehr und mehr einer, in der Speisekammer vergessenen verschrumpelten Kartoffel, aus der vitale Triebe wachsen, die sich im roten Verpackungsnetz verschlingen.

Der innere Baum
Was tun?

Jeder Mensch kann sich immer und überall auf den eigenen Schatz, die Lebenszeit, die Aufmerksamkeitskraft besinnen, und am inneren Arbeitsplatz die Werktage und Werknächte nutzen, das Fragmentieren, Zersplittern und Zerstückeln los-zu-lassen; sein-zu-lassen!

Jeder Mensch kann aus dem Main stream raus und ans Ufer seines Herzlands steigen. Kann lernen in ihm nur zu baden, ohne sich mitreißen zu lassen, oder gegen ihn anzukämpfen.

Dort, in seinem eigenen Körper-Land, das er Kraft Geburt hat und ist, kann er seinen Ableger vom Weltenbaum ins eigene Sein pflanzen. 
Kann diesen pflegen, schützen und wachsen lassen, bis er so groß genug ist, um auch seinen Wirt zu beherbergen, zu bergen.

Denn dieser innere Baum wächst nicht nach dem Prinzip des Schmarotzers.
Dieser Gast im Inneren ist kein fressender Götze, der sich von der Substanz seines Wirtes nährt, sondern ein Gott, der wächst.
Der Erde, in der er gedeiht, verleiht er schließlich Flügel der Freude, der Kraft und des Friedens und erhebt seinen Wirt irgendwann zu sich.
Das allerdings kann man weder kaufen, noch delegieren, noch erjagen, noch erbeuten, noch konsumieren.
Es ist Gnade und Geschenk und kann nur in vorbereitetem Grund gedeihen.
Und diesen Grund zu beackern, zu reinigen und zu durchlichten, das ist es was der Wirt zu leisten hat, täglich, stündlich, immer. Doch schon das ist Glück – und: hohe Kunst.


Zwei weiße Kraniche
...am Tag als der Himmel frei und ohne Flugzeuge war, sahen wir zwei weiße Kraniche über dem See kreisen...Spuren zeitloser Schönheit schrieben sie in ins Blau.
Sie segelten über unseren Augen und zeichneten Botschaften erhabener Freude.
Dann landeten sie auf einem hohen BaumWipfel im Hyroglyphen-Wald unserer Herzen.

Montag, 12. April 2010

Die Kunst der Wahrnehmung


"Die Kunst der Wahrnehmung"
Workshop im Sri Aurobindo Center in Berlin

Kern des Workshops ist ein interaktives Spiel mit alltäglichen Dingen aus Natur und Technik.

Jedes Ding, ob aus der Natur oder vom Menschen gemacht, ist das Resultat komplexer Prozesse und Entscheidungen. Mit einem Schneckenhaus sind Spiralgalaxien mit Milliarden von Sternen in Resonanz, und in einer Glühbirne steckt die Erfinderintelligenz von vielen Menschen.

Wir erleben diese Dinge normalerweise eingebunden in ihren Nützlichkeitskontext. Isoliert davon erwachen sie zu überraschenden Wechselwirkungen und entfalten "die Sprache der Dinge".

Durch spielerisches Zusammenstellen werden die Dinge zu Protagonisten, die hochkomplexe kommunikative Zusammenhänge erschließen, und zu Stellvertretern symbolischer Erkenntnis werden können.

Das Spiel wird, in mehreren Schritten, nonverbal gespielt. Wahrnehmung wir als schöpferische Kraft erlebt.

 


Hier noch ergänzend meine vollständige Beschreibung des Spiels die in dem Buch, "Die Kunst der Wahrnehmung", Die Graue Edition, 2003, Herausgeber: Michael Hauskeller, veröffentlicht wurde.


Alfred Bast


VON DER ENTDECKUNG DES OFFEN SICHTLICHEN
oder die Sprache der Dinge


Der goldene König sagte zum Manne: Wie viel Geheimnisse weiß du? – Drei, versetzte der Alte. – Welches ist das wichtigste? fragte der silberne König. – Das offenbare, versetzte der Alte.

das Märchen J.W.v.Goethe


DAS SPIEL


Im Atelier des Zeichners sammelt sich - vom Ozean des Unscheinbaren - Standgut: Steine, Blätter, Blüten (auch die welken), Stöcke, Flechten, Federn, Samenkapseln und Früchte. Sie wurden und werden gezeichnet und als temporäre Installationen zu Reihen und Spiralen, zu Ringen und Figuren gelegt.
Aus ihrem gewohnten Kontext gelöst, stehen die Dinge für neue Kombinationen zu Verfügung. Wie Worte die sich aus alten Texten lösten und sich auf den Weg machten und neue Verbindungen einzugehen. 

Nein! die Gegenstände werden dabei nicht mit symbolisch-begrifflicher Festlegung befrachtet, unter dessen Gewicht sie absaufen ins Banale, sondern sie bleiben immer was sie sind: Stein, Ast, Knospe, Frucht: Phänomene des Seins. 
Doch ist es möglich sie durch spielerische Aufmerksamkeit zum Glühen zu bringen, bis sie Funken schlagen mit denen die intuitive Wahrnehmung entzündet und die Imagination entfacht wird. 
So entstand das Spiel, das sich auch als ein Instrument erweist, um jenes ständige Projizieren, das meist unbewusst und unablässig am Werk ist, ins Wahrnehmbare und damit Gestaltbare zu heben: federleicht, frech und mühelos, ohne schweres tiefschürfendes Gerät.


Der erste Schritt

Wahrnehmung der Atmosphären
Auf dem weißen Tisch liegt ein weißes Ei. 
Die Menschen um den Tisch sind konzentriert. Es wird nicht gesprochen. Nonverbale Kommunikation ist die verabredete Spielregel.
Gelingt es die Aufmerksamkeit auf das Ei zu richten und zugleich wahrzunehmen, was dieses an Empfindungen, Assoziationen, Erinnerungen auslöst? Das ist die Aufgabe, die Forderung.
Dann, nach einer gewissen Zeit legt der Spielleiter einen anderen Gegenstand neben das Ei: einen kleinen Löffel. Was ändert sich? Welche Interpretationen tauchen auf? Nach einer Weile (wie lange das dauert muss abgespürt werden) wählt er ein anderes Objekt aus den vielen, die auf dem Tisch liegen. Er nimmt den Löffel weg und legt eine Feder neben das Ei. Was ändert sich? Ändert sich das Ei? Doch das bleibt mit sich identisch und doch ist alles anders. Noch ein Wechsel: die Feder wird durch den schweren Hammer ersetzt. Der liegt jetzt neben dem Ei. Hammer und Ei: was für ein Paar! Das Ei wirkt plötzlich bedroht. Alle Teilnehmer empfinden das. Es ist nicht nötig das auszusprechen. 


Marionettentheater.
Die Wirkung gleicht dem in einem guten Marionettentheater. Da ist der Spieler und die Holzpuppe und die Fäden: alles zu sehen. Und doch verwandelt sich die Puppe in ein Wesen. Alle merken, dass der Spieler spricht und nicht die Puppe, dass seine Hand das Kreuz mit den Fäden bewegt. Und doch ist es die Puppe von der alles ausgeht.  
Wenn die Illusion nackt ist, ohne Tarnung, und damit ohne Täuschungsabsicht,(und deshalb keine Illusion mehr), dann transformiert sich die Wirklichkeit um in Poesie. Der Zuschauer wird dabei nicht überstülpt mit Effekten, wird nicht von Scheinwelten eingesogen (obwohl auch das seinen Reiz haben mag) sondern, ist selbst schöpferisch. Er erschafft mit, durch seine eigene Vorstellungskraft, was er erlebt. 

So wie die Puppe bleibt auch das Ei auf dem Tisch immer mit sich identisch. Und doch ändert es sich durch bloße Nachbarschaft mit einem andern Gegenstand, löst bei den Teilnehmenden jeweils ganz verschiedene Assoziationen und Projektionen aus. 
Die Konstellation, die sich aus den beiden Dingen ergibt, erzeugt eine Atmosphäre. Es ist als wären beide plötzlich in ein farbiges Licht getaucht, das durch ihr Zusammensein aufscheint und in dem sie baden. Sie bilden zusammen eine spezifische „atmosphärische Frequenz“. 

Karikatur
Eine Karikatur zur Anschauung: Da sitzt zum Beispiel allein, im Wartezimmer seines Arztes der sensible Herr K. empfindlich wie ein Ei, und herein kommt sein Kollege, wie immer – trotz Schnupfen – hammerhart. Herr K. sieht eben in ihm die Ursache seines Leidens. Was tun, außer zerbrechlich grinsen? Jovial klopft ihm da der Deftige auf seine empfindliche Schale: die knirscht verdächtig, was den gutmütigen Grobian wiederum zurückstößt, denn mit dieser Mimosenhaftigkeit kann er nichts anfangen.

vom Projizieren
„Jede Projektion wird, zur Suggestion die das zu erzeugen sucht was sie zu sehen meint“.
Die Partner fixieren sich gegenseitig. Was sonst? (Die Einigenbeteiligung ist nicht ohne weiteres zu erkennen und für die Atmosphäre, die als unsichtbares Wirkungsfeld entsteht, ist eine bloß objektfixierte Wahrnehmung nicht empfänglich). Die gut trainierten Urteilshebel packen sofort zu: Gut-Schlecht-Harmlos. Nützlich-Schädlich-Egal. Angenehm-Abstoßend-Gleichgültig. Angstmachend-Hilfreich-Belanglos. Das Interpretationsmuster greift, ohne dass sie sich als Mit-Urheber erkennen. Ohne dass sie erkennen könnten, dass sie ihre Stimmung, für die sie den andern (insbesondere bei negativerer Bewertung) verantwortlich machen, selber miterzeugen und aufrechterhalten
(Dann geht oft verquere gegenseitige Änderungsschlammassel los. Da soll der Empfindliche - der doch nur in der Gegenwart des Hammers empfindlich ist - robust und stabil werden. Oder der Hammer andererseits, dieser immer-deftige- irgendwann übersatt an sich selbst - trainiert sich im Verzärteln und meint damit vielleicht sogar: ganz werden. Doch das ergibt schließlich nur höchstempfindliche Stahl-Eier, Bomben mit polierter Oberfläche und andererseits Softies mit antrainierten Zonen aus feinen Manieren, die ungeduldig drauf warten bis sie endlich zuschlagen können wie es für sie stimmt. Aus solchen Entfremdungen entstehen nur Wolperdinger, absurde, im harmlosesten Falle komische Figuren)

An den einfachen sichtbaren Dingen im Spiel wird ein komplexes unsichtbares Geschehen, erkannt. Wenn Zwei zusammenkommen entstehen Konstellationen und damit blitzschnell: Stimmungen, Klimas, „atmosphärische Frequenzen“. Die Frequenzen treten visuell nicht in Erscheinung, werden nicht gesehen, doch ihre Wirkung entscheidet, wie das Sichtbare gelesen wird.

Da die gewohnte Wahrnehmung im Ursache-Wirkung-Sehen geübt ist und darin die beurteilenden Emotionen nisten, (wie in der Bauchtasche der Kängeruhmutter das Kind), wird die Situation rascher bewertet, und damit das Klima erzeugt, als ein Gedanke ge-dacht werden kann. 
Das ist die farbige (oder zersplitterte) Brille durch die jeweils wahrgenommen wird. Doch nicht nur das. Diese Sichtweise wirkt suggestiv, manchmal mit hypnotischer Macht, die alle andern Aspekte lähmt und in die Latenz zurückdrängt, oder auch fördert, je nach der Art der atmosphärischen Frequenz. Im Umfeld von Autoritäten, vermeintlichen oder wirklichen, lässt sich das bestens studieren. Jede Projektion wird, wenn sie als solche nicht erkannt wird, zur Suggestion die das zu erzeugen sucht was sie zu sehen meint.


der zweite Schritt
Paare
Die Zehn, fünfzehn Frauen und Männer bringen sich ein. Sie legen nun auch etwas von sich selbst zu den andern Dingen auf dem Tisch: eine Uhr, eine Handy, einen Ring, die Scheckkarte, was auch immer. Sie werden nun gebeten selbst ein Paar, mit den vorhandnen Dingen, zu legen, das für sei harmonisch ist. 
Das Spektrum ist groß. Da liegt ein verschmutzter Arbeitshandschuh, der Dollarschein, die Rose, einige unterschiedliche Edelsteine, Kronenkorken, ein Herz aus rotem Schaumstoff, das schmale gelbe Bändchen mit Rilkegedichten, das zerbrochene Sektglas, Batterien, Schneckenhäuser, Stofftiere und Plastikautos. Kurz: künstliche Sachen und natürliche Dinge.  
Allen Gegenständen ist gemeinsam, dass sie Produkte und Ergebnisse von oft langen und komplexen Prozessen sind: Wachstumsprozessen bei Naturobjekten, rationalen Entscheidungsprozessen bei den hergestellten Dingen. In einem simplen Plastiklöffel etwa, stecken detaillierte Kenntnisse über Material, Stabilität und Form. Das „Wegwerfprodukt“ ging durch viele Entscheidungen bis ein Exemplar hier auf dem Tisch gelandet ist. 
Dieser gesamte Entscheidungsprozess ist in den Dingen gespeichert wie in einem Akku. Das bestimmt seine atmosphärische Frequenz. (Wie verschieden die sein kann wird deutlich, wenn neben diesem dünnen weißen Platiklöffelchen ein gediegener silbernen Kaffeelöffel liegt.) 

Manche Mitspieler legen als harmonisches Paar zwei technische Dinge zusammen. Arbeitshandschuh und Hammer zum Beispiel. Jemand anders wählt Natur: Stein und Feder, und noch eine dritte Wahl: Rilkebüchlein und rotes Herz aus Schaumstoff. 
Vielfältig sind die Variationsmöglichkeiten. Manche legen zweimal- dreimal. Immer wieder kommen neue Ideen, angeregt durch die Wahl der Andern.

Dann die Aufforderung des Spielleiters: „legen Sie bitte ein disharmonisches Paar, eines mit möglichst wenig Gemeinsamkeiten“.
Das ist nicht so einfach wie es zunächst scheint. Ist die Batterie neben dem Ei disharmonisch? Es sind doch beides Speicher! Vielleicht Handy und Adlerfeder? Nichts wird kommentiert. Die Kommunikation zwischen den Teilnehmern definiert sich allein über das Handeln mit den Dingen, die immer mehr zu Trägern von wechselnden Bedeutungen werden. Die Sinne sind hellwach.


Der dritte Schritt
Geschichten

In einem weiteren Schritt wir noch ein Gegenstand hinzugenommen. Drei Dinge befinden sich jetzt im quadratischen Spielfeld. Wer will kann eines austauschen. Die Duale Spannung ist aufgelöst, das atmosphärische Feld offener. Jedes Ding kann sich nun nach zwei Seiten hin wirken, sich durch zwei Gegenüber definieren. Dadurch entstehen sofort Geschichten. Da ist sofort was los, wie bei einem Paar das sein erstes Kind bekommt. 
Die Anregung wird angenommen. Intuitiv springen die Funken von einem zum andern und erzeugen eine dichte prickelnde Spannung im Raum. Manchmal gibt jemand durch die Wahl eines Dinges dem Geschehnen eine so überraschende Wendung gibt, dass alle hell auflachen. (noverbal!)

Die Protagonisten
In dem Spielquadrat liegt der schmutzige Arbeitshandschuh, das rote Schaumstoffherz und ein Zigarettenstummel. Sie sind die Protagonisten eines Drehbuches, eines ganzen Romans, dessen Möglichkeiten in dieser Konstellation vibrieren. Wird der Arbeitshandschuh ausgetauscht, etwa mit dem zerbrochenen Sektglas, dann ändert sich sofort die ganze Geschichte. Zerbrochenes Sektglas–Zigarettenstummel–Schaumstoffherz. Die Tristesse hält Einzug, erzählt wortlos von überspannter und enttäuschter Beziehung. Und doch- immer wieder ist das zu betonen - bleiben es die vertrauten Dinge aus dem Alltag. Und wohl auch deshalb, weil sie so bekannt sind wie Stars, (und vielleicht auch so begabt) können sie die verschiedenen Rollen mühelos einnehmen, ohne sich dabei zu ändern. 
Schon nimmt jemand das Schaumstoffherz heraus und legt den Hammer dazu. Hammer - Kippe-kaputtes Sektglas. Da ist keine depressive Stimmung mehr wie zuvor, sondern pure Aggression, Wut gegen was auch immer: den übermäßigen Alkohol, das Rauchen, oder ruft die das noch etwas ganz anders wach? 


Die weiteren Schritte
Komposition, die Architektur der Kräfte.
In einem nächsten Schritt, (nicht alle möglichen Schritte sollen beschrieben werden, denn der Ablauf nach den ersten vier Stufen wird aus der realen Situation bestimmt ) werden die Teilnehmer gebeten, nachdem sie durch das Spiel mit allen Dingen die zur Verfügung stehen vertraut sind, ihren Favoriten zu wählen und in das Spielfeld zu legen.
Da befinden sich dann 10 bis 15 Dinge, wild durcheinander im Spielfeld.
Die Aufgabe ist nun, diese in eine Ordnungsfigur im Raum zu bringen. Es gilt, eine Komposition mit allen Elementen, die nun nicht mehr ausgetauscht werden können, zu finden. So, dass alle Beteiligten damit einverstanden sind, also niemand mehr ändernd eingreift. Das ist spannend, kann dauern und gelingt nicht immer.

In dieser Spielstufe wird erfahren was Komposition ist. Da sind alle Teile und die Grundfläche vorgegeben, (ähnlich der Situation, wenn jemand eine neue Arbeit beginnt und sich auf die Bedingungen die nicht zu ändern sind, einstellen muss). Da geht es dann um den intelligenten und kreativen Umgang mit den vorhandenen Qualitäten, die auf dem Tisch, in Gestalt von völlig unterschiedlichen Dingen, repräsentiert sind. Es geht um eine Architektur der Kräfte.

Das Ganze wirkt auf die Teile zurück

Hier wird erlebt, dass die unterschiedlichsten Kräfte, - repräsentiert durch die Dinge - in einer Komposition so angeordnet werden können, dass jedes Ding seinem Platz findet. Wenn es stimmt, dann erzeugen die Teile gemeinsam ein Ganzes in dem sie zugleich notwendig und integriert sind. Die alte Wahrheit wird dabei erlebbar: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Aber nicht nur das. Das Ganze wirkt auch auf die Teile zurück, diesen Orientierung und Sinn gebend. Gelingt das, dann steht die Gestaltung unter Strom, dann ist wirkt ein unsichtbaren Kreislauf, der alle Teile erfasst und durchpulst
Das erweist sich nicht nur optisch visuell als stimmige Anordnung, sondern mehr noch, als eine atmosphärische Wirkung, die von einer solchen gelungenen Zusammenstellung ausgeht. 

Das Spiel kann, je nach Konzentration, bis zu zwei Stunden dauern. Auch anschließend wird darüber nicht gesprochen. Das gehört zur Abmachung, denn nur so wirken diese Bilder in den tiefen Schichten des innern Schauens weiter und werden nicht durch zu frühe verbale Festlegungen gestoppt. 


Donnerstag, 1. April 2010

Die Friedhofsmauer




Die Friedhofsmauer

31.03.2010 6:16 Uhr

...Wie mir scheint bin ich hier in meiner Straße immer einer der ersten. Ein Frühaufsteher.
In kaum einem Fenster der großen Häuser brennt Licht.
Bin eben doch ein Landmensch, der mit den Rhythmen der Natur schwingt.
Ich wache auf, laufe einmal um den Block, mache mir einen Tee und beginne zu schreiben.

... Gestern wird gegenwärtig.
Es ist ein warmer Nachmittag und die Straßen voll mit Menschen. In den Cafes mit sonnigen Plätzen versammeln sie sich zu genussvoller Erkundung entspannter Zeit. In den Eisdielen lief das Geschäft.
Ich habe kein Bedürfnis nach Kaffe oder Eis, sondern nach Gehen. Gehen inmitten dieser flutenden Menge. Durch Gesichter reisend, wie durch fremde Landschaften, und von ihnen, im vorübergehen, bereist zu werden. Niemand hält an.

Es gibt eine Erfahrung von Alleinsein in dieser Menschenmenge, die jener des Alleinsein in der Natur, in der kein Mensch auftaucht, ganz ähnlich ist. Der einzige Unterschied ist, dass hier die Möglichkeiten der Begegnung selbst das Element des Alleinseins bilden.
Oder ist es doch eher Einsamkeit?

In all den vielen Gesichtern gibt es kein Erkennen. Doch zugleich erzeugt die Gewissheit, sich mit diesen Menschen zur gleichen Zeit in diesem Raum zu befinden, eine unausweichliche, Nähe, die auch Isolation voneinander grell belichtet. Unzählige Wege des kennen lernens, scheint es zu geben, ebenso viele des ausweichens, übersehens und vermeidens.

So hat es ein wenig von Traum und Schlaf, dieses schwimmen durch die Gesichter.
Ich suche nichts, keinen Halt darin, gebe auch keinen. Lasse mich treiben in nachmittäglichen Strom sinnlicher Eindrücke, in den nun schon bekannteren Kreuzberger Gegend. Zum dritten Mal bin ich hier. Schreibe, male, gehe ins Internetcafe, bin noch immer ohne eigenen Online Anschluss und habe es nicht eilig damit.
Ich genieße die Bewegung und trinke, statt eines Kaffees, dieses Geschehen in mich ein, Wandere nicht, wie im Frauenhof, durch freie Natur, sondern durch die menschliche Landschaft und erlebe großes Theater.

Es ist zu spüren, dass viele ihre Einsamkeit spazieren führen und eine Ahnung vom erfüllten All-Ein-Sein bekommen. Milde sind heute die üblichen Feindseeligkeiten gestimmt. Sie wechseln die Fronten und es fehlt nicht viel dann werden sie freundlich. Die Stimmgabel dazu hat jeder in sich, doch es gibt auch Großstimmungen die die Sonne erzeugt, wie heute, da ist es leichter sich einzustimmen.


All-Ein-Sein

So strapaziert dieses Wort „All-Ein-Sein“ auch sein mag, die Sprache ist klar. „All-Ein-Sein“ drückt einen Zustand aus, der nicht sucht, nicht mehr nur im Spannungsraum des Eros kreist oder von der Magie des Sexus geschubst und gezogen wird, sondern - schon wieder so eine billig verpackte Sprachperle: „wunschlos glücklich“ ist.
Solches All-Ein-Sein ist eine Erfahrung der Liebe, die alle Dualitäten und Antagonismen in ein mildes und durchdringendes Licht stellt, so dass sie sich entfalten und nicht mehr rivalisieren müssen. Alles was sich abgesondert und gespalten hat, was sich zersplittert und zerstritten hat ahnt, dass es auch wieder heil und ganz sein kann, und freut sich an Kindern, in denen die Trennungen noch nicht stabiler Bestandteil der Identität geworden sind. Oder scheint das nur so in diesem heutigen Licht?

Es ist ein Zustand der Liebe, die nicht mehr nach etwas Ausschau hält, das in vielen Blicken aufscheint. Ich meine jenes Hoffen auf Glück, dass es einen im Trubel treffe wie ein Blitz. Zugleich sind fast alle Blicke bereits von Blitzen getroffen worden und tragen Narben und Spuren. Sie schützen sich nun mit allerlei Blitzableitern in Gestalt technischer Geräte, Tatoos, Pirsings und Markenfetsichen.
Denn nicht jeder Blitz entzündet Geist und Herz und Körper. Feuer wärmt nicht nur. Es brennt. Brennt ab was brennbar ist.
In dieser warmen Nähe ist auch die Gefahr. Deshalb ist die Freundlichkeit begrenzt, die Sehnsucht tritt zusammen mit der Furcht auf. Die Offenheit hat rasch Abwehr und Sperre bereit, kann jederzeit das Schwert ziehen um Grenzen zu setzen. Fast alle haben unsichtbare Bodygards um sich. Bei den Kindern sind sie sichtbar. Die Mütter und Väter.

So drängt der energiegeladene farbig schillernde Storm menschlicher Energien nach außen in die Atmosphäre der Straße, flutet zwischen den Häusern wie zwischen felsigen Ufern, und verbindet sich mit der warmen Frühlingssonne zu einem belebenden friedlichen Zusammensein mit Menschen aus vielen Kulturen, die mehr oder weniger bereit sind ihre Grenzen zu lüften. Wie Hüte um Gruß. Die Kinder spielen vor wie das geht.

Dann wechsle ich die Richtung. Genug in diesem Strom geschwommen. Ich wandere in eine mir ungekannte Richtung. Sie führt weg von der belebten Bergmannstraße, ein wenig den Berg hoch. Diese Straße ist breit und etwa 300 m einsichtig. Oben auf dem Berg ist ein imposanter ziegelroter Bau zu sehen. Der zieht mich an. Im Vorübergehen tauchen viele Schilder auf mit psychotherapeutisches Praxen. An einen kleinen Bürstenladen, mit exklusivem Angebot, zum Beispiel Kratzbürsten, verweile ich wie im Museum an einem Bild das mich überrascht.
Ich mag diese Art von Läden, wie auch den „Knopf Paul“ in der Zossener. Sie erhalten sich im starken Zeitstrom als Nebenwirbel. Je stärker der Strom in Richtung Technik und Fortschritt lärmt, desto stabiler, attraktiver und sicherer bleiben sie als Gegenwirbel erhalten.
Das gewaltige Backsteingebäude, es zeigen sich gleich zwei auf der Höhe, entpuppte sich als Autozulassungsstelle.


Gegenüber diesem mächtigen Gebäude reihen sich Hütte an Hütte an der Mauer eines großen Friedhofs. Die Mauer ist wenigstens vier Meter hoch. Das große Gebäude und die Mauer sind beide aus Ziegeln errichtet. Die Mauer ist teilweise überputzt. Alte Spuren von Beschriftung sind zu erkennen, die mich interessieren, weil sie von einer verlorenen handwerklichen Fertigkeit des Schriftenmalers zeugen. Mein Vater konnte das gut. Und da er immer Zigarren rauchte, schmeckt die Erinnerung nach seiner Werkstatt.

Die Hütten dagegen sind lieblos und rasch aus Resopal und billigen Baustoffen gemacht und werden von der übergroßen Werbung zusammengehalten. Fast alle sind geschlossen, weil die Zulassungsstelle momentan keine Sprechzeiten hat. Hier können Versicherungen fürs Auto und fürs Leben abgeschlossen werden. Die lärmenden und schäbigen Hütten stehen in einem seltsamen Kontrast zu dem Gebäude, das aus alten Zeiten seinen Stolz bewahrt. Als hätte es Frack und Kragen an und einen Kaiserbart im Gesicht. Es sieht diese neuen Hütten, die kurzlebigen Kioske spekulativer Versprechen nicht. Die ducken sich an der Friedhofsmauer weg. Überall in der Welt siedeln sich solche Hütten an. Überall dort wo Menschen hinkommen, aus welchen Gründen auch immer, passen sie sich den Bedürfnissen am um davon zu profitieren. Hier ist es kein touristischer Krimskrams , sondern es sind Versicherungsversprechen. Auf der Rückseite der Friedhofsmauer? Das wiederum passt.

Kein Mensch ist hier heute unterwegs. Außer mir und ich frage mich warum. Was gibt es hier zu sehen? Was führt mich hier entlang? Warum laufe ich an der langen Friedhofsmauer, die einen großen städtischen Raum mit seinen alten Bäumen in dem die Vögeln trällern ziepen und singen, umgrenzt, entlang? Ich suche einen Eingang.

„Ich liebe nur Dich!“ „Seit Du in meinem Leben bist, weiß ich erst was Leben ist!“ „Ich liebe Dich, nur Dich allein!“ „I love you for ever!“
Die Rückseite der Friedhofswand gibt nicht nur den Hütten Halt, sie ist voll mit Grafittis, Liebesgeständnissen mit dem jeweiligen Namen der unsterblich Angebeten, meist mit dem Herz-Zeichen beglaubigt. Nur ein Ausrutscher hat sich grob über diese Liebesbeweise geschmiert: „ich konsumiere, also bin ich!“ steht da. Ansonsten alles Liebesanzeigen.


Der Friedhof ist groß und die Mauer lang. Kein Eingang. Von dieser Seite kein Eingang in den Friedhof. Diese Seite gehört den Versicherungsslams und der jungen Liebe.

Die Mauer ist zu Ende. Eine andere Straße öffnet sich, zum Südstern. Ein klingender Name: Südstern. Ich komme an einer Kirche vorüber. Es fällt auf, dass an diesem ganz normalen Nachmittag Menschen hineingehen. Ein Hochzeit, ein Konzert? Ich bin neugierig und trete ein. Hier überschreite ich eine unsichtbare Lichtschranke die die Stimmung ändert, wie später beim Betreten des Friedhofs.
Innen herrscht ein anderes Gesetzt. Behutsam schaue ich mich um. Sehe ein Gemälde im Eingangsbereich das nicht, wie in andern Kirchen, historisch wirkt, sondern frisch gemalt ist. Kitschig mag ich es nicht nennen, auch wenn es unter diese ästhetische Kategorie leicht einzuordnen wäre. Es wirk innig, wie ein großes Votivbild, mit vier jungen Männern in Anzügen und Krawatten und darüber die Madonna mit Kind, als schöne junge Mutter, wie sie in den Kaffees der Bergmannstraße oder dem Kinderspielplatz an der Markthalle anzutreffen sind. Es ist nicht für die Kunstkritik gemalt, sondern für dem Maria. Kein Objekt des Marktes sondern des Gemütes.

Ich setzte mich dann leise in eine Bank und bestaune das riesige Christusgemälde im Chor. Mit offenen Armen, der Überwinder. Kein Gekreuzigter. Ist das eine orthodoxe Kirche? Nein, vermutlich nicht. Ich sehe einen Messdiener etwas im Altarraum vorbereiten. Einen Gottesdienst? Ich fürchte, dass mein Handy, meine elektronische Nabelschnur, laut werden könnte und gehe um nicht zu stören. Doch auch weil ich zwar neugierig bin, aber den Voyeur nicht mag.

Es ist eine polnische Kirche, finde ich an den Infotafeln heraus. Gut, dass ich gestern bei John Berger über seinen polnischen Freund und die Polen las, so sah ich diese Menschen differenziert und mit einer freundlichen Neugier.

Als ich die Kirche verließ kam mir eine Familie entgegen. Drei kleine Kinder, die Mutter und dann der Vater als Letzter. Das war auch so ein Bild, wie später jenes mit der Frau und dem Engel im Friedhof. Ein Urbild von Familie. Ich sah den Zusammenhalt bei ihnen, die liebevolle steuernde Sorge, die Gemeinschaft ihrer Heimat, ihre Sprache zu pflegen, im fremden Deutschland. Den Kindern zu zeigen woher sie kommen und wohin sie gehören, obwohl sie hier sind, in der Fremde.

Etwas „roch“ nach sprachloser Gewissheit in einer Hoffnung die nur ein Glaube zu bereiten weiß. Ja, nach frischem Glaube roch diese Kirche.


Friedhof
Der Eingang in den Friedhof ist eine Schwelle. In jedem Friedhof ist er eine Schwelle, doch hier erfahre ich es, noch stärker als in der Kirche, wie eine Lichtschranke, wie ein Security-ceck. Sobald du drin bis, bist du von dem da draußen abgelöst. Alles ist horizontal gewichtet, und nach unten. Wie umgelegte Häuser. nur die Bäume streben in die Höhe. Doch was zu sehr in die Höhe strebt, wie die zu großen Denkmäler, ist im Verdacht eitel zu sein. Sie wirken, vor allem die schon verfallenen, doppelt schmerzlich. Denn vielleicht lebt niemand lebt mehr der sich der „Unvergessenen“ erinnern würde.

Hier finden sich keine, mit heiß-pochendem Blut, in verbotener Aktion spontan gesprayten Botschaften, um sich der Geliebten und der ganzen Welt zu offenbaren, wie auf der Rückseite der Mauer, sondern hier sind es lange erwogene in Stein gemeißelte Worte.
„unvergesslich“ ist das Wort das sich mir am meisten einprägt. Manchmal steht nur dieses eine Wort, Gold auf schwarz poliertem Granit für die Unwiederbringlichen.

Es sind wenig Menschen zu sehen. Eine Frau in Jeans sonnt sich auf einer Bank. Gegenüber, wie ihr zugewandt, ein grüner Grabesengel. Bote einer Welt die wir nicht erkennen. Kaum noch anerkennen. Doch wenn es diese Welt auf der Rückseite dessen gibt was wir Leben nennen, was kümmert es sie ob wir sie für wirklich halten oder nicht?
Wenn ich diesen Gedanken jetzt formuliere, dann spüre ich doch, dass es sie kümmert, sehr wohl bekümmert, wenn wir ihr die Existenz absprechen nur weil wir sie nicht mit den Sinnen erfassen, oder jene Sinne die sie zu erfassen vermögen nicht mehr ausbilden, weil wir sie für Irr-Sinn halten, da sie wissenschaftlich nicht verifizierbar sind.


Ich bleibe stehen, betrachte das Bild wie von einem unbekannten grandiosen Meister. Die Frau die sich auf dem Friedhof sonnt, mit den geschlossen Augen, gegenüber dem Engel. Die Sonne sieht sie und der Engel, und ich.
Ich fotografiere sie - zögernd. Auch hier wird eine Grenze überschritten und ich habe mich zu prüfen ob es ein Voyeur ist der hier knipst.
Es ist eines von jenen Bildern, die tausend Worte ersetzen. So wie auch die leere Gartenbank inmitten von blauen Sternenblümchen, eine Ruhebank unter einer Akazie, inmitten der „ewig Ruhenden“. „hidden art“. Versteckte Kunst, nenne ich das. Sie will entdeckt werden.

Kindergräber

Dann sehe ich seltsame Gräber, nicht nur Gold und Schwarz, sondern bunt, mit Fähnchen. Es sind Kindergräber. Ich gehe durch einen Tränensee zu ihnen hin. Mit Tränen werden hier die Spielsachen gegossen, mit Tränen die Wurzeln unfasslicher Hoffnung gewässert.

Diese Kinder kamen nicht bis ins das Stadium der jungen Liebenden, die ihre Gefühle außen auf der Friedhofswand offenbaren. Und es sind doch so viele. Und noch viel mehr auf dieser Erde.
An vielen dieser bunten Kindergräber bleibe ich stehen. Noch das albernste Spielzeug auf diesen Gräbern wandelt zu einer heiligen Ikone. Manche dieser kleinen letzten Orte sind schon ungepflegt, die Spielsachen überwachsen. Doch sie wirken nicht trostlos auf mich.
Kindergräber im Frühling? Das erzeugt einen Kurzschluss im Stromnetz des Gehirns. Das passt einfach nicht. Auch nicht zu dem strömenden Treiben zwischen den Häusern. Und doch.

Langsam gehe ich weiter, entlang der Mauerinnenseite. Repräsentative Familiengräber mit wuchtiger Präsenz. Wenn ich an die Pyramiden denke, die größten Grabstätten oder die schönste, das Tatsch Mahal, dann wirken diese hier wie ein Echo, ein Nachruf an die Lebenden, während die Grabstätten der Ägypter Häfen, Raumstationen ins Jenseits waren, mit einem enormen Reiseverkehr.
Hier sind die Namen jener, die auch geliebt haben und geliebt wurden, die auch auf den Straßen der Stadt Kaffe tranken, auf Begegnung hofften und Begegnung fürchteten, glücklich waren, gesucht und gefunden haben, verloren gingen und fehlten, im doppelten Sinne. Geliebte einst, die in den Geliebten von heute Weiterschwingen. „Denn die Liebe höret nimmer auf“ Das ist mein Text-Grafitti das ich innen und außen auf die Friedhofswand sprühe.

Als ich durch die unsichtbare Lichtschranke des Friedhofs wieder ins lebendige Treiben zurückging wusste ich, dass ich bei dem Thema: LIEBE EROS UND SEX, das ich die letzten Tage vertieft habe, etwas vergessen hatte. Etwas unbedingt Dazugehörendes.

Im KunstKloster Quartier in der Solmsstraße zeichne ich es auf:

TOT