Freitag, 26. März 2010

Kaffe an der Markhalle



26.03.2010 5:20 Uhr


für meine Herzin


Kaffee an der Markthalle


Nahe einem großen Kinderspielplatz, hinter der Markhalle, sind runde Tische mit Korbsesseln aufgestellt.

Es ist warm, sonnig. Ich will schreiben inmitten dieses freundlichen Trubels und Treibens.

Schon fühle ich mich heimisch in Kreuzberg. Heimisch, als Fremder unter Fremden.



Das Brandenburger Tor

Eben war ich dort, nach der Ausstellung in der neuen Nationalgalerie. Diese Tor: einstmals ein Symbol des Triumphes, dann der Teilung und Wiedervereinigung. Heute dient es als Markensymbol und historische Kulisse für große und kleine Events.

Ein Zielort, der auf dem Programm der vielen Reisegruppen, ganz oben steht.

Das Tor zieht Massen von Menschen an. Wie alles berühmte wirkt es wie ein Magnetsog. Die Funktion des Ruhms erhebt den Einzelnen in die Sphäre historischer Bedeutung, um ihn sofort, und in diesem Falle unmerklich, in einen Körper aus Fans einzuschmelzen.


Die Stimmung ist erwartungsvoll. Geladen. Prickelnd. Weniger wie Sekt, eher wie billige Brause. Als müsse hier immer, auch jetzt, ja grade jetzt wo „Ich“ hier bin, etwas passieren. Alle Iche, die eine Menge ergeben, auf der Schwelle zum „Wir“, verweilen, lassen sich nieder wie verschiedene Zugvögelschwärme an einem See. Friedlich, freundlich, laut in Gruppen, verhalten und eher verloren die Einzelnen.


Einige Schausteller, die russische, ostdeutsche und amerikanische Soldaten parodieren, machen phantasievoll aus dem historischen Kontext Kasse, indem sie sich, meistens mit Mädchen fotografieren lassen. Der Fotobeweis: Ich war auch da. Und die Bedeutung des Ortes geht, wie ein Geruch über in die Bedeutung des Ichs. Es steigert sich durch diesen berühmten Orte und nimmt die Begegnung wie Antiderperssiva ein.


Zu Hause wird das gewürdigt und wer von dort nicht mehr reisen kann, etwa die Großmutter, freut sich, dass die Enkelin nun zwischen einem Ami und einem Russen lacht, und all das Grauen das hier geschah zur bunten eislutschenden Oberfläche wurde. Leben wir nicht doch in besseren Zeiten als damals? Oder sind die Orte des Konflikts nur gewandert? In den vorderen Orient, nach Afghanistan?


Jetzt tanzen 5 fitte Jungs, umringt von einem großen Zuschauerkreis in dem mein anwesendes Ich etwa ein 300stel ausmacht. Akrobatisch, humorvoll, erotisch und super gut.

Als die Schau zu Ende ist, springen diese bejubelten Helden des Augenblicks in die Menge und betteln mit Mützen um Cash. Wie rasch sich die Menge auflöste war überraschend. Sie stob auseinander. Das machten die Tänzer nicht so geschickt wir ihre Bewegungen. Denn der Übergang zwischen den Helden und den Bettlern war zu abrupt. Ich bin sicher dass mehr Zuschauer gerne gegeben hätten, wenn sie mehr Zeit gehabt hätten. So stoben die Zuschauer wie ein Fischschwarm vor hungrigen Hechten auseinander. Das fällt mir erst jetzt, in Nachhinein auf, sonst hätte ich es gesagt. Ich gab gerne dem jungen Mann, der locker einen Salto aus dem Stand macht, eine Münze in die Mütze.


Mein radfahrende Ichkörper löste sich aus der Menge und fuhr über die Friedrichstraße zurück. Edelgeschäfte links und rechts. Dort gibt es hochpreisigen Schmuck, Taschen, Schuhe, Kleider. Trophäen die tragbar sind. Begehrte Werte mit denen sich das Ich aufwerten und schmücken kann. Weiter unten dann, hinter dem ehemaligen Grenzübergang Check Point Charlie, eine Baustelle. Danach veränderte Stimmung. Kein Glamour mehr. Die Knochen harter Wirklichkeit werden spürbar unter fahler nachlässiger Oberfläche. Plastiktüten statt Gucci-Taschen. Doch viel mehr Kinder in denen das Leben sich feiert.

Klavierspieler

Nun also mit einem großen Milchkaffe vor mir, in dieser andren Menschenmenge. Familien aus der nahen Umgebung lockt es nach dem langen Winter raus. Ein Lächeln liegt in der Luft. Von irgendwoher leise Pianoklänge. Ein Mann mit Hut spielt auf seinem transportierbaren Klavier, vor einer Wand voll mit Grafitti. Er spielt schon seit es Musik gibt. Später sah ich ihn als Passant und sprach in an. „Es gibt so viel Unsinn auf der Welt, da kommt es auf einen mehr nicht an“, sagte er heiter. Diesmal dürfte er an die 60 sein, so alt wie ich. Wir wissen beide, dass wir nicht mehr lange zum letzten Tor gehen müssen und vieles schon als Wiederholung sehen was für andere einmalige Zukunft scheint.

Doch ist dies ein Geheimnis und lässt sich nicht aussprechen ohne sich zu tarnen.


Sowenig wie der Klavierspieler meint, mit seinem Spiel den Lauf der Welt ändern zu können und dennoch spielt, so wenig meine ich mit meinen Gedanken etwas verändern oder bewirken zu können. Trotzdem schreibe ich.

Es ist wie Steine suchen und finden am Strand, die für den Finder kostbar sind und so unterschiedlich.

Ich spüre die Lust, wenn ins Schreiben Saft kommt, wie in eine Frucht die über den Sommer reift.


Zwar ist letztlich alles Leere, Materie und Licht. Mit oder ohne Schöpfer. Zwar gibt es nur Bewegung, Raum und Zeit, und doch finde ich mich verdichtet und geprägt wieder. Schaut mich ein Gesicht im Spiegel an das kein anderes ist. Zwar sind wir alle eins, doch wenn das uns jemand sagt der unser Geld will, dann finden wird das selten überzeugend.


Das Licht ist zugleich Farbe und die Materie nicht nur Masse, sondern hoch differenzierte Gestalt, die in Verbindung mit Atem und Bewegung Leben freisetzt. Und schließlich uns Ich-Wesen hervor bringt. In zweifacher Ausfertigung, zweifachem Sex: femin und maskulin. Geteilte Einheit die sich in unzähligen Varianten wieder einen will, muss. Getrieben und Vertrieben. Treibend und reibend.

Sex. Erotik. Liebe.

Drei Bergriffe die in der Regel zu einem Cocktail gemischt sind. Wasser. Frucht und Schnaps.

Mich interessieren die einzelnen Bestandteile dieses Tranks, der zugleich berauscht und ernüchtert.

So lege ich die Begriffe auf den Ateliertisch und betrachte sie, koste sie einzeln. Taste nach ihnen wie der Musiker nach seinen Klaviertasten. Vielleicht kann und muss ich selber mischen lernen in der Haft-Bar der Liebe und Leidenschaft, in der sich meist nur vorgemischtes bietet.


Sex zeigt sich magisch. Unmittelbar, Kompromisslos.

Erotik mystisch, zwischen Weite und Nähe verbindend. Wie der Regenbogen zwischen Licht und Dunkel. Doch nicht fassbar.

Liebe ist das Licht im Raum. methaphysich, umwandlerisch. Lächelnd, lösend dort wo sie sich bindet.


Einheit und Zweiheit. Diese Urthema seit Menschengedenken, das alle Maler und Dichter beschäftigt. Dies und die Phasen des Lebens, wie es sich auf diesem Platz so eindrücklich, gleichzeitig und alltäglich abspielt.


Nein, wir mögen zwar eins sein, dort in den biologischen Werkstätten und chemischen Labors mikrokosmischer Kleinheit. Doch haben sich aus dieser Einheit zu viele Gettos entwickelt in die wir eingesperrt sind. In denen wir uns einsam fühlen und die wir zu öffnen, zu lösen und zu sprengen versuchen und in die wir doch flüchten wie in Höhlen, wenn uns die Weite beliebiger Möglichkeiten aufzulösen droht, und wir in statistischen Zahlengebäuden nur noch Nummern sind.

Doch nicht nur Gettos entwickelten sich, sondern mehr noch Gestalten der positven Kraft. Blumen und die schönen Tiere, Bäume und das spielerisch machtvolle Wasser. Sie wirken in uns und geben uns Freude und Schönheit - zum verschenken viel und die Macht die Gettos umzuwandeln.


Hier auf diesem Platz sind Frauen Männer und Kinder. Diese drei Gruppen in die sich die ganze Menschheit fassen lässt. Die Gruppen, die sich immer weiter differenzieren, bis in die Iche hinein mit Namen, Wohnort und Alter und in denen doch das Ganze vibriert. Jedes Ich hat in seinem schönen runden Schädelhaus einen ganzen Kosmos, ein Universum, das mit dem da draußen kommuniziert.


Zwei Augen schauen. Eines nach Außen eines nach Innen. Zwei Hände handeln. Eine nach Außen, eine nach Innen. Zwei Ohren hören, eines nach Außen, eines nach Innen.

So jedenfalls ist es gemeint vom „Ein und Alles“, von der Schöpferfrau, unserem Herrn.

Das taucht eben als Botschaft auf dem Bildschirm im Atelier auf. Manches zeigt sich auf Papier und Leinwand, manches auch dem Bildschirm.


Von Zeit zu Zeit ist es sicher gut alle Sinne zu schließen und sich in den Zustand des Einsseins zu versenken. Sich jedenfalls dorthin auszurichten als ginge es ans sterben. Dorhin wo sich Nichts und Gott in Liebe einen und die Freude mit der Leere tanzt.


Dort, so versprechen die für mich überzeugendsten Menschen, sind wir erst die wir sind. In den Karussellen der Welt, die sich um diesen Mittelpunkt drehen, sind die Mühlen des Werdens und Vergehens in Gang, damit wir feingemalen werden bis nichts mehr bleibt, und unsere Legierungsidenidtäten verlieren. Dort in diesem Nichts werden wir zu dem geboren was wir sind. Oder besser: wir erwachen darin. So sagen sie. Ich bin sicher, dass es so ist. Doch das ist eine große Kunst so zu verlieren, dass "Nichts" bleibt und nicht etwas nichts.


Wie der StraßenMusiker, der sagte, es komme auf eine Sinnlosigkeit mehr in der Welt nicht an, und sich damit heiter seine Freiheit in Form eines Fischbrötchens in den Mund steckte, so habe auch ich den Eindruck, dass es nicht darauf ankommt ob ich über Sex, Erotik und Liebe oder sonst was schreibe. Was kümmert es das Feuer, wenn ich es beschreibe, es freut sich viel eher, wenn es das beschriebene oder bedruckte Papier mit seinen schönen heißen Zungen leckt, aufzehrt und in Asche verwandelt.


Schon lange habe ich gelernt, wenn ich mit dem Feuer arbeiten will, mit der Asche zu beginnen. Vielleicht hab ich das im Blut.


Im „deutschen Gen“. Eingebrannt nach 1945.

3 Jahre danach wurde dieses hier schreibende Ich, das den Vornamen Alfred und den Nachnamen Bast hat, (es gibt in Deutschland 10 weitere Iche die ebenso heißen) geboren.

Asche und Ruinen waren in der Atemluft meiner Kindheit. Nicht unmittelbar, denn die Kleinstadt Schwäbisch Gmünd hat äußerlich den Krieg heil überstanden, doch der Gau war in den Menschen, den Seelen, den Herzen. Und er war verdrängt. Von den Meisten.

Nur ein Lehrer den ich als Menschen erinnere und nicht nur als Figur, gestand uns untröstlich, dass er im Kriege einen Schwarzen getötet habe. Und dass er später nach Afrika fuhr, um dessen Familie zu suchen. Vergeblich.


Ein „GutMensch“, ein „Mut-Mensch“, der die Stärke besaß seine Schwäche und Schuld zu äußern. Die meisten andern erinnerten sich, vor sich selber und vor uns Kindern, wenn sie einmal sprachen, als großspurige Helden, die uns imponieren wollten, und die das Klassenzimmer in eine Kaserne verwandelten. Sie machten uns zu kleinen Feinden und schlugen uns vernichtend, in jeder täglichen Schlacht, die Bereitschaft zur Bildung aus dem Kopf.

Heute ist das eher andersherum. Da sind die Lehrer die Feinde auf die geschossen werden darf. Ziele stumpfer Aggression die von Kriegsspielen genährt werden.

Töten um nicht selber getötet zu werden.

Die Banalität des Überlebenstriebes. Als hätte Christus nichts anderes gezeigt.

Max Beckmann, "Mädchenzimmer" in der Ausstellung " Moderne Zeiten" Neue Nationalgalerie Berlin 
"Moderne Zeiten"

Bevor ich gestern in den bunten Wirbel ums Brandenburger Tor kam, besuchte ich die Ausstellung "Moderne Zeiten" in der Neuen Nationalgalerie. Eine dichte Schau der Kunst zwischen 1900 und 1945 in Europa, mit dem Schwerpunkt Deutschland.


Gebrochene Formen, zerstörte, zerstückelte Gestalten. Wilde Schritte in eine Freiheit aus der dannMauern und Gefängnisse erreicht wurden. Zuckende Gesten, extatische Tänze in grellen und ungebrochenen Farben. Ein Rückruf des Primitiven, Unverdorbenen, ein Schrei nach dem unkontrollierten unbewußten Chaos um den rationalen Gefängnissen zu entkommen. Flaschengeister wurden zur Befreiung gerufen und freigelassen. Das Primitive und Naive von übersensiblen Künstlern nahezu verzweifelt vergröbert.


Als ein intellektuelles Konzept, einen Widerstand gegen dekadente, verlogene Bürgerkultur. Dem Primitiven wurde der Rote Teppich ausgrollt. Auch das wurde zum Diktat. Zum Zwang. Als hätten die verschiedensten Stilrichtungen den Kampf in sich mitgenommen, als wären sie Splitter eines zertrümmerten Ganzen, von dem ein jedes Teil ein neues Reich zu gründen beanspruchte. Mit Macht, Ignoranz, Intoleranz gegenüber andren.

Ich kann in dieser Kunst, manches finde was mich unmittelbar angeht und berührt, was mir Aufschluss gibt über den herrschenden Geist der Zeit. Grosz zeigt präzise und deutlich was immer noch ist.

Und dass die Lüge nicht nur nicht überwunden ist, sondern sich öffentlicher Anerkennung erfreut.


Ich kann in dieser Tradition nicht weitmachen. Ich sehe, dass weder die besten und härtesten Bilder, die die Systeme der Lüge und der Macht entlarvten schick und teuer geworden sind.

„Bad painting“ schmückt. Das Missfällige gefällt.


Das Schöne ist von der Werbung besetzt. In der modernen Kunst taucht sie eher selten auf. Das Grauen, das Böse erscheinen wahrer, authentischer und sind „mediengerechter“, sofern von gerechten Medien gesprochen werden kann.


Zerstört ist der Mensch der zerstört. Das galt und gilt es zu zeigen. Ihm gilt es mutig ins Gesicht zu schauen. In den Spiegel und dies auszuhalten. Hat sich dadurch etwas verändert? Haben sich zum Beispiel die unbewussten Quellen der Surrealisten als wahrer und reiner gezeigt, oder haben sie lediglich kollektive Verdrängungen aufgedeckt, was an sich schon ein riesige Leistung wäre?


Noch immer ist das Schöne in der offiziellen Kunst entweder verpönt oder zum Kitsch übersteigert. Der kunstgeschichtlich Gebildete "will" oder "muss" in der Kunst seine kaputte Wirklichkeit sehen, die zugleich sein Image krönt und seine Defekte feiert und entschuldigt.

Es ist gewiss entlastend keinem Ideal mehr folgen zu wollen, denn diese haben sich allesamt als Irrwege erwiesen. Doch ohne geht Ideale nicht. So werden sie in Marketingagenturen kreiert und zeigen sich auf den kreisenden Litfassäulen, an allen Straßen, in Zeitungen, im Fernsehn in übergoßer Glorie und perfektionierter Schönheit.


Schlecht ist der Mensch, hilflos und bös, ist das Fazit der Analyse des letzten Jahrhunderts. ...Schön... Schön....


Nun, dann lasst uns sein was wir sind. Egoisten, brutal und gierig, lügnerische schlaue und geile Mischwesen in Glamourmasken, die möglichst weit oben angesiedelt sein möchten im Geld-Welt-Angst-Getto, in der Nähe der Scheinwerfer und Kameras. Vielleicht um Geschichte zu schreiben und ein großes Grab zu bekommen, keines wie Mozart oder Grünewald, das niemand kennt.


Nein, da geht es für mich nicht weiter, auch wenn sich alles rasend bläht.

Spätestens hier wird deutlich, dass ein zerbrochenes Glas nicht wahrer ist als ein ganzes. Das zeigen die Blüten und die Kinder. Scherben sind nicht das Ziel. Ruinen nicht die Architektur der Zukunft.

Ich will ganz leise beginnen, das Schöne wieder mit der Wahrheit zu verbinden. Die Kinder, die Kinder und manche Alte hier zeigen in ihren Gesichtern, die nichts von alledem wissen müssen, dass es geht.

Es ist gut mit der Asche zu beginnen wenn ich das Feuer beschreiben will, mit Worten, mit Farben.

Ja, es ist gut mit der Asche zu beginnen, wenn das Feuer gemeint ist.

Doch heute komme ich nicht dazu es auch zu entzünden. Erst muss wohl die Feuerstelle erst noch vorbereitet werden.

Ferdinand Hodler, "Frauen die einen Jüngling bewundern" Moderne Zeiten" Neue Nationalgalerie Berlin 

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