Samstag, 3. Juli 2010
2. KunstKlosterGespräch auf dem Klosterhof
SOMMER
Wachstum und Wärme – Entfaltung im Außen
Heute ist Samstag, der 3. Juli. 16.30 Uhr.
Ich sitze im schattigsten Raum des KunstKlosters im Frauenhof.
Eine seltene Ruhe herrscht ringsum. Unbewöhnlich für einen Samstagnachmittag.
Keine Maschinengeräusche, keine Traktoren. Die Vögel sind auch mit den leisen Tönen bei leicht geöffnetem Fenster zu hören. Die Grillen zirpen im zeitlosen Rhythmus.
Das nächste Dorf im Tal, Wöllstein, ist etwa 2 km Luftlinie entfernt.
Ich habe auf die Distanz schon ein "kollektives Stöhnen" gehört. Offenbar eine verpasste Torchance oder gar ein Tor von Argentinien gegen Deutschland die in diesen Stunden gegeneinander spielen, verfolgt von Millionen Zuschauern? Ich werde es garantiert erfahren.
Nun aber möchte ich diese seltene Stunde fürs Schreiben nutzen.
Stiller und auch sommerlicher könnte es nicht sein. Ein leichter Wind bewegt die Blätter der nahen Büsche vor dem Fenster. Die, erst im letzten Jahr,nach dem Tod meiner Mutter gepflanzten Hortensien, lassen die spärlichen blauen Blüten hängen. Ich unterbreche das Schreiben und gebe ihnen Wasser.
Morgen werde ich diesen Text auf dem Klosterhof lesen. So er denn lesbar ist. Doch ich gehe davon aus, denn die Stunde ist günstig.
Ich sehe die Freunde vor mir, freue mich schon auf sie und auf einige noch unbekannte Gesichter.
Dabei geht es auch um "die Kunst der Wahrnehmung". Das meint, ein Thema so zu vertiefen, es so aufzufächern, es in eine solche Atmosphäre zu stellen, dass es sich wie von selbst entfaltet.
Mal sehen ob "Entfaltung im Außen" auch auf diesen weißen Blättern geschieht, wie dort draußen bei den grünen.
Unmerklich, und in diesem Jahr sehr lange, dauerte der Übergang vom Frühling zum Sommer. Nun ist er da. Präsenter lässt er sich in unseren Breitengraden nicht erfahren.
Blauer Himmel mit einigen wenigen Wolken die weiß und träumend über den überfüllten Frei-Bädern schwimmen, in denen jetzt auf Großbildschirmen das sportliche Drama gebannt verfolgt wird, und auch über der Lichtung in der mein Haus ruht, in dessen unterstem Raum ich schreibe.
Schon beim ersten Text fiel mir auf wie mühsam es war in den Sommer als Thema einzutauchen. Viel näher wäre ein Sprung ins Wasserbecken als einer ins Denken.
Damit ist es wohl auch schon gesagt!
Der Sommer ist nicht die Zeit des Denkens, nicht die Zeit des Erinnerns, der Einkehr. Sondern im Zenit das Lichtes, beim höchsten Stand der Sonne, treibt es das Innere nach Außen. Das Licht zieht es heraus, lockt, ruft und zwingt. Wachstum geschieht.
Die winterlichen Baumgerippe stehen jetzt üppig im grünen Fleisch. Gesättigt sind die Blätter von, in Chlorophyll verwandeltem Licht. Durstig saugen die Wurzeln im Dunkel der Erde das nährende Wasser. Wasser und Feuer wirken schöpferisch zusammen und erzeugen das vielgestaltige Leben da draußen. Da draußen denkt es, nicht in mir.
Im Sommer über den Sommer zu schreiben? Das dümpelt leicht ins Banale und fühlt sich da nicht mal unwohl. Es suhlen sich Ohrwürmer gerne in Sommerlöchern.
mit allen Poren, auch denen des Denkens, das von einer anderen Qualität ist als jenes Denken im Frühling oder in den anderen Jahreszeiten.
Dieses Denken ist weniger ein Sinnen, Besinnen oder Deuten, (ich kann es nicht lassen, trotzdem ein wenig zu sinnen, zu deuten, auch wenn mir der Schweiß an den Gehirnschaleninnenwänden herunterläuft), sondern vielmehr ein Betrachten, ein Schauen, ohne den Wunsch des Überblicks, ohne den Wunsch zur Erkenntnis zu kommen. Ohne schon Früchte in Händen halten zu wollen. Das ist Sache des Herbstes und wäre jetzt grün und unreif geerntet.
Denken über den Sommer im Sommer findet draußen statt, nicht im Kopf, oder anders gesagt: der Kopf denkt im Sommer draußen. Es denkt im Grün der Blätter und in den farbigen und duftendenden Lichtbrechern, den Blumen. Besonders in den Rose. Es denkt anschaulich.
Zu keiner Jahreszeit ist Denken derart pures Sein, wie im Sommer.
In keiner anderen Jahreszeit wird mir so bewusst, dass alles schon ist und immer, und dass es sich lediglich vor meinen Augen in der Zeit abrollt.
Und doch können wir sagen: jetzt ist sie da.
Wenn die Apfelbäume blühen bei uns, dann ist Frühling.
Wenn das Grün, das gespeicherte Licht in den Blätter sich in Farben wandelt, dann ist Herbst. Wenn der Schnee die Landschaft überdeckt ist Winter.
Und wann ist Sommer?
Für mich, wenn ein gewisser Druck da ist, ein "Hoch-Druck" eine machtvolle Präsenz im offenen Raum. Wenn die Schwalben kreischend ihre schwungvollen Zeichnungen in die warmen Lüfte prägen, und trotz all dieser eleganten Figuren doch alles irgendwie stillsteht. Sommer ist, wenn Erde und Sonne HochZeit feiern.
Zwei Scheitelpunkte im Jahr, die Wintesonnwende und die Sommersonnwende markieren Wendepunkte im rhythmischen Kreisen zwischen der Sonne und Erde.
Diese Wendepunkte sind markante Koordinaten im Fluss. Geometrische Achsen. Oder auch zwei FixPunkte an denen die schwingenden Saiten des Jahreslaufes verankert sind, durch die „der Schöpfung Lied erklingt“ und ihr Tanz geschieht.
Die Befruchtung hat im Frühling stattgefunden, die Reifung kommt im Herbst. Jetzt ist ein Mittelzustand erreicht. Eine aktive glänzend schwere Ruhe. Muse. Wenn die Grillen zirpen. Ein satter Zustand nach dem dramatischen FrühlingsAufbruch, in dem jede Blume als ersehnter Bote, nach langen kargen WinterTagen, gefeiert wird. Jetzt stehen die Gärten in üppiger Fülle.
17:24 Uhr
Eben tönt es aus dem Tal. Es muss etwas passiert sein. Ein Tor?
Ich schaue vom Schreiben auf in den Wald. Der Wind hat sich gelegt. Erfreulich, dass die blauen Blütenköpfe des Rhododendrons sich schon wieder erheben. Welche Kraft des Wassers.
Wasser so erfrischend im Sommer. ...und: der Schatten, dieser körperlose Begleiter eines jeden Dinges im Licht, wird als Spende, als Gabe und Labung erlebt. Auch in ihm kann man eintreten und eintauchen wie in das Wasser.
Ein weißer Schmetterling flattert vor dem Grün.
Mein Denken über den Sommer verschwindet mit ihm im Wald.
17.40 Uhr
Es trötet und hupt durch den Berg herauf. Das Spiel ist vorüber. Auch ich pfeife meins ab.
Es steht unentschieden: Gut gegen Schlecht: 0 zu 0. Die Mitte hat gewonnen!
Wir feiern den Sommer und singen das Lied das vor 400 Jahren Paul Gerhard schrieb.
Es war mein allerliebstes Lied als Schuljunge.
Geh aus mein Herz und suche Freud In dieser lieben Sommerszeit
An deines Gottes Gaben;
Schau an der schönen Gärtenzier
Und siehe, wie sie mir und dir
Sich ausgeschmücket haben.
Die Bäume stehen voller Laub,
Das Erdreich decket seinen Staub
Mit einem grünem Kleide;
Narzissen und die Tulipan,
Die ziehen sich viel schöner an
Als Salomonis Seide.
Die Lärche schwingt sich in die Luft,
Das Täublein fleugt aus seiner Kluft
Und macht sich in die Wälder;
Die hochbegabte Nachtigall
Ergötzt und füllt mit ihrem Schall
Berg, Hügel, Tal und Felder.
Die Glucke führt ihr Völklein aus,
Der Storch baut und bewohnt sein Haus,
Das Schwälblein speist die Jungen;
Der schnelle Hirsch, das leichte Reh
Ist froh und kommt aus seiner Höh
ins tiefe Gras gesprungen.
Die Bächlein rauschen in dem Sand
Und malen sich an ihren Rand
Mit schattenreichen Myrten;
Die Wiesen liegen hart dabei
Und klingen ganz vom Lustgeschrei
Der Schaf und ihrer Hirten.
Die unverdroßne Bienenschar
Fliegt hin und her, sucht hier und da
Ihr edle Honigspeise
Des süßen Weinstocks starker Saft
Bringt täglich neue Stärk’ und Kraft
In seinem schwachen Reise
Der Weizen wächset mit Gewalt
Darüber jauchzet jung und alt
Und rühmt die große Güte
Des, der so überflüssig labt
Und mit so manchem Gut begabt
Das menschliche Gemüte
Ich selber kann und mag nicht ruhn
Des großen Gottes großes Tun
Erweckt mir alle Sinnen
Ich singe mit, wenn alles singt
Und lasse was dem Höchsten klingt
Aus meinem Herzen rinnen
Ach denk ich bist Du hier so schön
Und läßt Du’s uns so lieblich gehn
Auf dieser armen Erde
Was will doch wohl nach dieser Welt
Dort in dem reichen Himmelszelt
Und güldnen Schlosse werden?
Welch hohe Lust, welch heller Schein
Wird wohl in Christi Garten sein!
Wie wird es da wohl klingen?
Da so viel tausend Seraphim
Mit unverdroßnem Mund und Stimm
Ihr Halleluja singen
Oh wär ich da, o stünd ich schon
Ach süßer Gott vor Deinem Thron
Und trüge meine Palmen!
So wollt ich nach der Engel Weis’
Erhöhen Deines Namens Preis,
Mit tausend schönen Psalmen
Doch gleichwohl will ich weil ich noch
Hier trage dieses Leibes Joch
Auch gar nicht stille schweigen.
Mein Herze soll sich fort und fort
An diesem und an allem Ort
Zu Deinem Lobe neigen
Hilf mir und segne meinen Geist
Mit Segen, der vom Himmel fleußt,
Daß ich Dir stetig blühe;
Gib, daß der Sommer Deiner Gnad
In meiner Seele früh und spat
Viel Glaubensfrücht erziehe
Mach in mir Deinem Geiste Raum,
Daß ich Dir werd ein guter Baum,
Und laß mich Wurzeln treiben;
Verleihe, daß zu Deinem Ruhm,
Ich Deines Gartens schöne Blum
Und Pflanze möge bleiben
Erwähle mich zum Paradeis,
Und laß mich bis zur letzten Reis
An Leib und Seele grünen;
So will ich Dir und Deiner Ehr
Allein und sonstern Keinem mehr
Hier und dort ewig dienen.