Samstag, 29. Mai 2010

zu den Bildern von Neo Rauch, an Pfingsten in Leipzig

...ein langer Text über Bilder

überhaupt nicht internetgängig und dazu noch ... ohne Fotos!

Vor einigen Jahren begegnete ich erstmals einem seiner Werke in der Staatsgalerie in Stuttgart.
Es hat mich unmittelbar beeindruckt. Kein Kontext, sondern das Bild selbst.
Solches Erlebnis ist selten in der zeitgenössischen Kunst, und für mich immer ein Zeichen von Qualität, weil die Bildsprache unmittelbar wirkt, wie es seit je ihre Stärke ist.

Deshalb nahm ich gerne eine Einladung über den Freundeskreis der Kulturstiftung der Länder am Pfingstsamstag an, an der Ausstellungsführung durch Neo Rauch und Dr. Hans Werner Schmidt, dem Museumsleiter und Mitorganisator der Ausstellung, teilzunehmen. Ich war noch nie zuvor in Leipzig und „opferte“ zwei Tage.

An diesem Pfingstwochenende war die Stadt voll von "Gothik-Menschen".
Geoutetes Verdrängungs- und Schockpotenzial in allen Variationen.
Manches davon hat sich bald mit bestimmten Regionen seiner Bilder überlagert.

Ruhm hat seine eigene Magie. Die Begegnung mit einem weltberühmten Künstler stellte für einen viel weniger bekannten Kollegen eine subtile psychische Herausforderung dar.

Über das gefährliche Minenfeld des Vergleichs, an den saugenden, sorgfältig getarnten Magnetfeldern des Neids vorbei, gelangte ich schließlich bei seinem Werk und seiner Präsenz an.

Seine offene, selbstreflektierte wache Haltung, der sympathische Herr des Hauses, anwesende Freunde, und die interessierte Gruppe erzeugten eine gute Atmosphäre. Seine Art über die Arbeiten zu sprechen ergänzte, eröffnete, ohne etwas durch die Worte zu verstellen.
Es vermied alles was träge Erwartung bedienen würde. Es war für mich, und, das kann ich sicher hinzufügen, für die ganze interessierte Gruppe, sehr wertvoll. 

Am Sonntagmittag war ich nochmals in der Ausstellung mit dem Titel: "Begleiter". Die Bilder wirkten, ohne seine persönliche Präsenz, fast noch stärker als am Abend zuvor. Das hat mich überrascht.
Sie schlüpften, entwischten aus dem biografischen, persönlichen Kontext, lösten sich ab vom Autor, und füllten frei und vehement die Räume mit einer intensiven visuellen Musik.
Jedes trat auf seine Weise in Beziehung mit den andern Bildern und mit jedem Besucher. Dabei, so schien es, hatten die Besucher ein unsichtbares „Headphone“ auf, und reagierten auf die bildnerischen Signale, wie in einem interaktiven Spiel. Sie traten in die Räume ein, in die Figuren und deren Handlungen und damit bei sich selbst. Selten hab ich so viele Menschen in einer Ausstellung zeitgenössischer Kunst gesehen, die derart konzentriert die Bilder betrachteten, und von den Bildern betrachtet wurden. Auch die "Gothiks" waren zahlreich anwesend. "Cool", das Mantram der Abgründigen, war öfter zu hören.

Die Risse und verschiedene Ebenen in seinen Bildern trennen und verbinden zugleich. Auch die Risse und Ebenen im Betrachter.
Wenn ein Raum oder Gegenstand sich in eine malerischen Geste ergießt, oder eine Figur sich in farbiger Fläche löst, ist das nicht nur ein virtuoses Surfen mit den bildnerischen Möglichkeiten, sondern diese werden zugleich neu kodiert.

So wie im Gehirn bekannte Muster sich durch eine Intuition zu neuem Zusammenhang verbinden können, der die vertrauten Muster rückwirkend als Zeichen einer unbegreiflichen Botschaft ahnen lässt und rätselhaft anreichert.

Die Bilder wurden nicht nur von den Betrachtern ergänzt, sondern ergänzten die Betrachter ebenso.  


Nach der Ausstellung, erlebte ich deren Fortsetzung in der Stadt.
Das Vor-Höllische, Mephistos weitläufige Verwandtschaft, pilgerte im aufwendigsten Design, in der teuersten Kostümierung, gelassen durch Leipzig.
Das Schöne kam als Hässliches daher. Das Hässliche als Schönes. Ein höllisches Paradies. Das war nicht ohne Humor.

Das Schöne und das Böse

Die Hölle verweist, unfreiwillig, immer auf einen Himmel, denn sie ist nie das Primäre. Hölle ist immer Sekundär, Folge, Reaktion, Imitation. Die Hölle hasst das Primäre, aus sich selber Lebende, hasst das zweckfreie Schöne, raubt den Schein und ahmt das Schöne nach. Spannt es intelligent, grell leuchtend und grinsend vor düstere Absicht.

In fast allen Beschreibungen und Bildern sind die Höllen weit phantasievoller und attraktiver als "die Himmel".
Wenn sich der Mensch nach „oben“ projiziert, vergrößert er in der Regel nur seine Begrenztheit und bläst seine Enge zu Konzernen und Palästen auf.
Dann strandet er in opulenten Illusionen und badet im Kitsch.
Oder löst sich in monochromer Leere auf.
Oder wirbelt in ironischen Distanzen um seine Hohlheit.
Jedenfalls in der Neuzeit.

Alte, spirituell ausgerichtetet Kulturen, wie etwa die ägyptische, die griechische, oder die östlichen, hatten dieses Problem nicht. Für sie waren "die Himmel" noch offen und durch Kunst zu erreichen. Kunst war noch viel mehr die Empfangsstation für göttliche Frequenzen. Und in viel geringerem Maße ausschlachtbare Ressource für partielle Macht- und Prachtrepräsentanz. Ausnahmen finden sich freilich damals und heute.

Es gibt nur wenige Bilder in der westlichen Kunst, bei denen die gemalte Schönheit "Himmel“ auch enthält. Das bekannteste Beispiel ist wohl der auferstandene Christus des Isenheimer Altars von Grünewald.

Dem Himmel gehört die Schönheit zu. Doch wird ihre Zaubermacht als Folie, Schein, Köder, Lockvogel, benutzt und oft genug missbraucht.

Es gibt dann die Diktaturen die sich mit ihr schmücken und die Schönheit selbst zur Diktatur erheben.


So wurde und wird sie

...ins blasse Ideal entkörpert,

...von brauner Dumpfheit zur geistlosen Götzin erniedrigt,

...als Galionsfigur auf die Galeeren uniformierter Kollektive gespannt,

... im Scheinwerfergrill anheizender Werbung, von Markenheroen und
entpersonalisierten Puppen, an hypnotisierte Endverbraucher verbraten,

...oder - Hybris der Machbarkeit - als Schönheitnormierung in reifende Gesichter implantiert, die zu ent-falteten Masken und Karikaturen gerinnen.

MODERN modern

Doch erscheint sie auch pur, unkorrumpiert und unverhofft, etwa in einem Kinderblick, auf einer Blumenwiese, auf einer Ruine im Sonnenlicht, im Winken eines Freundes.


Die moderne Kunst hat das Schöne weitgehend aus ihrem Repertoire verbannt. Es der Werbung überlassen. Von dort schwappt es vehement in die Kunsttempel zurück.
Als gekrönte Barbiepuppen, auf glitzernden Teppichen aus teuer gewebten Kunstkontexten, im Blitz- und Schweinwerferlich einherschreitend. Scheinbar ironisch gebrochener Kitsch.

Die mit dem Kitsch arbeitenden Künstler Jeff Koons oder Murakami etwa, lösen hier nichts auf, sondern okkupieren Tabus und verbinden sie mit einer intelligenten Strategie und berechneter Produktion, die den nervenhungrigen und spekulativen Bereich des Kunstmarktes, der von Skandalen, frischen Sensationen und gewinnträchtigen Investitionen lebt wie Kühe vom Gras, erfolgreich bedient.
Insofern ist dies für mich reaktive, und damit sekundäre Kunst, wie teuer sie auch gehandelt werden mag, keine primäre, wie die von Neo Rauch. Weder zu Koons noch Murakami wäre ich angereist.

In Rauchs tritt das Schöne nicht vordergründig auf, doch ist es anwesend.
Vielleicht auch dadurch, dass sie mich als Betrachter nicht zum Voyeur grausamer Szenen reduzieren, sondern zwischen die Sensationen des Gefährlichen so etwas wie eine optische Atempause einlegen, die einen unbesetzten Raum frei gibt. Eine kurze Stockung vor dem Schrei - oder der lösenden Antwort. Dieses Stocken erlaubt einem Nichtfassbaren, und das könnte eben der Himmel sein, seine Anwesenheit.

Doch wahrscheinlich ist das was ich hier schreibe, nur Projektion und spiegelt viel mehr den Betrachter als die Wirklichkeit seiner Bilder. Mag sein. Doch die Bilder wirkten in die reale Wahrnehmung hinein, und beeinflussten die Sehweise.

Gelungene Bildern wirken bildend auf die Welt zurück aus der sie stammen.  

Auf der Rückfahrt mit dem Zug am Sonntagabend, von Leipzig nach Aalen, sah ich zum Beispiel den nächtlichen Wagon mit seinen Neonlampen und Schildern, Spiegelungen und den vereinzelten Fahrgästen „mit den Augen seiner Bilder“.

Ich fand in Neo Rauch, an diesem Abend, keinen Zombie des Markes vor, auch keinen der mit dessen Mechanismen geschickt jongliert, keinen vom Ruhm angeknabberten, vom Geld hypnotisierten Vertreter der zeitgenössischen Kunst, keinen Star der primär vom Schein-Werfer-Licht der Projektionen anderer leuchtet, sondern einen erfreulicherweise weltberühmten und authentischen Künstler, der aus eigener Kraft wirkt. Doch auch im Wissen, dass diese von tiefen Schichten gespeist wird, die nicht allein dem Willen und Zugriff gehorchen. Und einen Menschen dem die Augenhöhe, bei aller Differenzierung und notwendigen Unterscheidung, das Höchste und Liebste zu sein scheint. So jedenfalls erlebte ich ihn.

Seine Bildern sind grandios und noch bis August in München in der Pinakothek der Moderne, und in Leipzig im Musum für bildende Kunst zu sehen.

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