Mittwoch, 3. Februar 2010

Eingeschneit


Eingeschneit

...es ist drei Uhr morgens. Ein Sturm braust ums Haus. Hohe Schneewehen versperren die Zufahrt. Bin eingeschneit mit "Baste", dem Kater.

Im Atelier malte ich gestern, bei gleichmäßigem, vom Schnee reflektierten Licht, an rhythmischen Bildern.
Bilder zu denen es weder eine Idee noch einen vorgefassten Plan gibt. Oder anders gesagt: dieser Plan und diese Idee bestehen, doch wie im Dunkel. Sie werden erst durch das Malen sichtbar.

Das Bedürfnis zu malen, die Lust bildnerisch zu tanzen, sich aus der Ruhe in Bewegung zu setzen genügt für den Beginn. Der tänzerischen Bewegung geht es nicht darum eine Strecke von A nach B zurückzulegen, sondern um einem Zustand Ausdruck und Gestalt zu verleihen.

Beim Malen (oder ist es mehr ein Zeichnen?) hinterlassen die spontanen, raschen tänzerischen Bewegung, mit den Werkzeugen - dem Filzstift, dem brennenden Holzstock, der Kreide, den farbigen Pinseln, den Walzen und Schwämmen - Spuren auf dem weißen Grund. 
Spuren die sich verdichten zu etwas Vertrautem und doch Unbekannten, zu Chiffren und Zeichen. Wie Fährten im Schnee. 




Frische Fährten, die von unbewussten Impulsen, aus den unzugänglichen Gegenden evolutionärer tierischer Herkunft zeugen. Fährten auch, die sich aus wechselnden Gefühlsbewegungen zu Gestalten figurieren. Zu Gestalten, die bald dem kritischen Blick, dem zweifelnden, distanzierten analysierenden und bewertenden Auge, standhalten müssen.
Die Schwelle, von der Instinktsicherheit beim spontanen Malen, zum rationalen Bewusstsein, bewirkt sofort eine Stockung der Bewegung. (Was erst nach einer gewissen Zeit sinnvoll ist). So wie ein Dirigent bei den Proben den Fluss der Musik nur stoppt, um eine bestimmte Stelle bewusst zu machen, und damit einen präziseren Ausdruck zu erreichen.
Die mentale Instanz in diesem Prozess ist für den kritischen Überblick zuständig, dafür, dass nicht schon die Begeisterung beim Tun bereits mit einem nachhaltig gültigen Ergebnis gleichgesetzt wird. Solche kritische Distanz hat die Aufgabe, den spontanen Ausdruck zu präzisieren, und ihm die Kraft und Sicherheit des Überblicks einer Choreografie zu übertragen.

Die kritische Distanz ist kein Selbstzweck, keine mentale Behinderung des kreativen Strömens, auch wenn das zunächst so erscheint, sondern eine notwendige und hilfreiche Prüfungsinstanz, um den persönlichen subjektiven Ausdruck in eine überpersönliche, intersubjektive umfassendere Gültigkeit zu steigern.

Mit welchen Ziel? Wozu das Alles? Aus Langeweile, weil ich eingeschneit bin? Malen als Beschäftigungstherapie- und jetzt auch noch das darüber Schreiben? Hmm...Gewiss freut es mich, wenn jemanden etwas mit meinen Sachen und Texten anfangen kann.

"Anfangen"? ... dieses Wort bringt mich auf eine heiße Spur - wohltuend bei der Kälte - Vermutlich hat das Malen mit "fangen" zu tun. Von Fährten und Spuren habe ich ja schon geschrieben. Und ein Fährtensucher will ja was fangen. Kunden vielleicht und Ruhm und Anerkennung etc.
Gut, ich habs: bin mir auf die Spur - auf die Schliche - gekommen, und teile das freimütig und leichtsinnig mit.

Ich male die Bilder damit sie gefallen - als Fallen also.

Doch primär als "Fallen" für Engel. Ich male so, dass diese neugierig werden und sich darin verfangen.

Ich male so, dass sie nicht widerstehen können und in die Spuren des bildnerischen Tanzes eintreten, wie in einen geöffneten Raum, auf dessen Boden ästhetischer Honig fließt. Den mögen sie. Darauf reagieren sie. Schönheit ist ihr Elixier, ebenso die Freiheit. Doch Ach!, eitler Mensch!, Ach! und wieder Ach! Welche von uns gemachte und erstellte Schönheit könnte sie, diese Großen Lichten, Hohen schon reizen, wenn sie nicht unsere vergebliche Mühe mit ihrem milden Sinn als dunkelstes Licht in ihrer Helle, als ein mageres Glimmen erahnten und es berührten? So wie man trübes Wasser prüft, indem sie mit dem untersten Zehen ihrer Unermesslichkeit hineinfußen in die wasserfarbigen Spuren? Für sie ist das nichts weiter als ein chaotischer Urschlamm aus evolutionärer Schwere. Einer Schwere die sich innerlich hoch stemmt, wie einst der Vierbeiner äußerlich in die Aufrechte (...und heute über Rückenschmerzen klagt...). Sie helfen, dass sich der Mensch nach oben erinnert, nicht nur nach hinten-unten. Es gibt Engel die Erziehen. Sie haben eine Engelsgeduld, denn wir sind schwer erziehbar. Lassen uns ungern ziehen noch schieben. Das bisschen Sehnsucht das sie uns einpflanzten, verschleudern wir allzu oft billig am Kiosk der kleinen Bedürfnisse für ein Werbe-Los - meist sind´s Nieten, besonders die Gewinne. So müssen dann die geschäftigen Teufel mit ihrem Brennen schieben helfen. 

Wenn also, trotz all dem, entgegen aller Wahrscheinlichkeit und - versteht sich von selbst - außerhalb rationaler Vernunft (...es gibt glücklicherweise noch eine überrationale Vernunft...) etwas von ihnen erscheint - und dieser Schein ist kein Schein, sondern echt - dann nimmt der Maler - selten genug - etwas wahr von ihrem friedvollen mächtigen Glanz, ihrer sonnenhellen farbigen Freude, ihrem klingenden Wesen, das tatsächlich unaufhörlich in immer neuer Weise das Lob Gottes singt, ohne sich je zu wiederholen.
Dann mach ich herzkopfrasch die Tür in meiner Falle zu , will sie fangen und: - weg sind sie. Sie lassen sich nicht einfangen. WEG sind sie - heiter lachend - WEG sind sie und WEISER als ich. WEGWEISER. Ich lockte sie an, sie locken mich aus meiner eingeschneiten Enge heraus. Wenn ich denke, ich spielte mit Ihnen, ist es ihr Spiel mit mir, das ich entfernt ahne. Oder ist es mein Wunsch, dass es so wäre, um mir wenigsten einbilden zu können, dass ich in ihrer Gegenwart überhaupt existiere? ...Das wissen die Götter. Und die gibt es nicht, wissen die Atheisten.
Jetzt lachen auch wir zusammen, die Atheisten und ich, und bin motiviert zu einem neuen Bild, einem neuen Fange-Spiel, einem neuen Tanz-Schritt. Nochmals: Anfangen. Immer am Anfang. Sysiphos sei ein glücklicher Mensch, schrieb Albert Camus. Den Stein hab ich heut Morgen schriftlich auf den Berg gerollt, jetzt hurgelt er den googleBerg runter. Schön anzuschauen wie er sich vernetzt. Er rollt weit, verzweigt sich und der Stein wird zum Baum. Virtuell wenigstens. 

Derweil ich also mit dieser weltfremden Tätigkeit des Steinerollens und Engelfangens beschäftig bin, während ernsthafte Leute echte Kriege mit echten Toten, sogenannten "Opfern" führen, die Welt vor Feinden, Kummer und Sorgen - gegen eine geringe Gegenleistung versteht sich - beschützen, und ihre Beute zinsbringend vergraben, unterhält sich Baste, der Kater auf seine Art.
Er beobachtet aufgeregt und frustriert ein Mäuschen, das ungeniert die Körner vor seinen Augen frisst - weil ein Fensterglas dazwischen ist.

Was das wohl sagt?
Wenn wir noch länger eingeschneit sind, werden wir es vielleicht ergründen.

Vielleicht kommt, was es zu bedeuten hat, als spontane Einsicht einfach so hereingeschneit. Könnte sein, denn wenn ich aus dem Fenster schaue schweben große weiße Flocken wie Federn herab. Wenn das nicht Engelflügelfederchen sind aus Himmelbetten, die Frau Holle da ausschüttelt, dann will ich Bast heißen, fast so wie mein Kater.

1 Kommentar:

Dr.R.Wagner hat gesagt…

Lieber Herr Bast !
Ich beneide Sie um Ihr Eingeschneitsein mit Baste und ich bin so neugierig , wie die Bilder wohl aussehen werden, die rythmischen Spuren. . . .
Herzliche Grüsse !